Leseecke
Dieses Buch spielt am Anfang des 20. Jahrhunderts in einem kleinen spanischen: Valladolid. Cecilio Rubens ist Inhaber einer Firma, die Badewannen verkauft, was zu der Zeit noch eine absolute Seltenheit ist. Er ist reich, dick und lasterhaft. Mitte dreißig beschließt er plötzlich, doch noch Kinder haben zu wollen. Der Sprössling wird ebenfalls Cecilio genannt und spricht seinen Namen als Baby Sisí aus, deshalb der Titel. Der Roman schildert Sisís Heranwachsen als das eines verwöhnten, verzogenen Jungen, der vor lauter Luxus den Sinn des Lebens aus den Augen verliert. Als schließlich der Zweite Weltkrieg ausbricht, fällt Sisí an der Front und sein Vater nimmt sich das Leben.
Die Lektüre des Buches beginnt sehr interessant, erinnert an Dickens Weihnachtsgeschichte und lädt dazu ein, in die goldenen Zwanzigerjahre einzutauchen, in den der bevorstehende Krieg zwar immer präsent zu sein schien, aber bis zu seinem Ausbruch nicht die Hauptrolle im Leben der Menschen spielte. Sisí wirkt dabei wie eine Allegorie auf die Zeit selbst: Er lebt voller Ausschweifungen, ist dekadent, reich, unbekümmert, stirbt schließlich einen sinnlosen Tod und reißt seine Vorgängergeneration mit in den Abgrund. Wenn man also als Leser die Lektüre mit Distanz angeht, wird man nicht enttäuscht sein über das tragische Ende des doch optimistisch beginnenden Buches. Der einzige positive und nicht ausgesprochene Ausblick ist die sich ändernde gesellschaftliche Rolle der Frau. Während im Verlauf des Buches nur zwei Typen von Frauen im Vordergrund stehen, die unmündige Ehefrau, verkörpert durch Adela, und die ausgehaltene, frivole Geliebte, verkörpert durch Paulina, ändert sich das Rollenverständnis zum Ende hin – die Ehefrau wird immer selbständiger und aktiver. Durch den Tod ihres Mannes, der sie zeit seines Lebens stark gedemütigt hat und nie ein Partner auf Augenhöhe war, bekommt Adela die Möglichkeit auf mehr Selbstbestimmung. Sie verkörpert damit die Entwicklung der gesellschaftlichen Stellung der Frau im 20. Jahrhundert.
Eine gelungene Lektüre, die sprachlich meines Erachtens durch die sehr langen Passagen mit ungeordneten Zeitungszitaten aus der jeweils beschriebenen Zeitspanne an Überzeugungskraft verliert.
Rezensiert wurde:
Delibres, Miguel (2005):
Mein vergötterter Sohn Sisí.
Übers. Lisa Grüneisen. Frankfurt am Main: Fischer. (Originaltitel: Mi idolatrado hijo Sisi. Barcelona: Editiones Destinao.).