Willkommen im Buchblogbereich!
Du findest hier kompakte sowie ausführlichere Einschätzungen zeitgenössischer Belletristik.
Vor allem Romane und Novellen deutscher und ausländischer Autor_innen.
Alle Rezensionen sind unabhängig - es gibt keine gekauften Anpreisungen schlechter Literatur.
Lesenwerte Bücher kennzeichne ich mit einem Stern *, gute Bücher mit zwei Sternen** und hervorragende mit drei***.
Deutschsprachige Literatur
LESEECKE: ALLES EINE FRAGE DER TECHNIK
rezensiert von PUKI
Das Buch ist unterhaltsam – wie eine romantische Komödie im Fernsehen.
Die größte erzählerische Stärke stellt die Schilderung des zwischen dem Protagonistenpaar Nella und Paul zunehmenden Konfliktes aus der Perspektive des Mannes und der Frau dar – wie unterschiedlich beide Geschlechter ein- und dieselben Geschehnisse interpretieren, ist teilweise sehr witzig erzählt. Dieser Konflikt ist die Hauptquelle der Spannung in diesem Buch. Leider hält diese nicht durchgehend an: Etwa nach der guten Hälfte, d.h. mit dem Ende des Golfkurses, kommt es zu einem erzählerischen Bruch. Bis zu diesem Punkt ist die Erzählhandlung langsam und gedehnt, danach nimmt sie rapide zu, ohne dass dies für die Geschichte bedeutend wäre; dadurch wirkt der zweite Teil des Buches unnötig verzettelt und gehetzt. Das Setting wird mehrmals gewechselt, die Erzählstränge verzweigen sich und Nebencharaktere gewinnen zunehmend an Bedeutung, nur um am Ende wieder in ihre Nebenrollen zurückzufallen, und zwar relativ abrupt.
Sprachlich findet der Männlich-weiblich-Kontrast leider keine adäquate Umsetzung – Pauls und Nellas Perspektiven sind sprachlich zu ähnlich. Dabei wirkt die Sprache der weiblichen Protagonistin authentisch, während der ihres Freundes die entscheidende Zutat dafür fehlt, nämlich die sprachliche Manifestation der durch ihn anders wahrgenommenen Realität.
Zudem sind auf sprachlicher Ebene viele Passagen nicht ausgereift und wirken daher wie Zeilenfüller, denn ob bspw. die Atmosphäre zwischen zwei Personen lustig ist, kann der Leser nicht durch eine bloße Aussage wie „wir lachen viel“ nachempfinden. Derartige Beschreibungen wirken wie Regieanweisungen in einem Drama – ohne eine Widerspiegelung in der Handlung verpuffen sie schlichtweg.
Schade ist auch, dass ein renommierter Verlang wie Rowohlt einen relativ kurzen Roman mit etwa einem halben Dutzend Syntaxfehler, die auf eine mangelnde Bereinigung der Korrekturfahnen hindeuten, veröffentlicht.
Inhaltlich wird am Ende des Romans der Konflikt zwischen Paul und Nella sehr glatt beseitigt – nach kapitelweise geschilderten Missverständnissen –, was die Homogenität des männlichen Charakters zerstört. Da der Protagonist auf einmal so ziemlich allen Wünschen seiner Freundin zu entsprechen versucht, wirkt die letzte Szene, aus der inneren Haltung Pauls heraus betrachtet, nicht folgerichtig, bestenfalls utopisch, eher aber kitschig. Auch sprachlich überzeugt der Schlussmonolog nicht, weil er wie die Wunschformulierungen einer Frau klingt. (Es würde eher in die Buchlogik hineinpassen, wenn Paul in seiner Schlussrede die Worte einer von Nellas Freundinnen auswendig gelernt und aufgesagt hätte.)
Schlussendlich scheint das Alter der Charaktere, 32 und 36, für derartige Konflikte zu hoch.
Das Buch ist aber dennoch eine nette und leichte Gute-Nacht-Lektüre.
Rezensiert wurde:
Morgowski, Mia (2014): Alles eine Frage der Technik. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Das Vorwort verfasst von Jan Weiler – dem Ehemann der Autorin. Was erklären dürfte, warum der Roman überhaupt veröffentlicht wurde. Schade, dass der deutsche Literaturbetrieb derart durchschaubar ist. Jedenfalls verwundert es nicht, dass es um deutsch-italienische Kulturunterschiede geht. In der Tat kommt in diesem Buch die italienische Kultur deutlicher zum Ausdruck als in Weilers eigenen Romanen. Das ist auch die Stärke des Buches – man erhält Einblick in eine uns nahe und doch andere Kultur, v.a. im Hinblick auf den Stellenwert der Familie und Kindererziehung. Allerdings ist die literarische Seite so schlecht umgesetzt, dass man seitenweise die Seiten herausreißen möchte. Angefangen bei Plattitüden wie die Deutschen sind so und die Italiener so bis hin zu endlosen Schilderungen der Ansichten der Autorin über Erziehung, Familie und Kultur. Wenn Piper in Zukunft einen höheren literarischen Anspruch erheben würde anstatt nach Marketingkriterien zu veröffentlichen, bekommen wir vielleicht eher Romane geboten als einfach nur Bücher, die sich wie nicht lektorierte Tagebücher lesen.
Limoncini, Sandra (2012): Bambini sind Balsamico für die Seele. München: Piper.
PUKI, Januar 2021
Ein Buch über die Verwicklungen der jungen Generation der 1990er Jahre und ihrer Vorfahren im Zweiten Weltkrieg. Der Beginn ist interessant, die Protagonistin Lizzy, die von ihrem Großvater auf dessen Sterbebett damit beauftragt wird „für Gerechtigkeit“ zu sorgen, tappt im Dunkeln hinsichtlich der Vergangenheit ihrer reichen, industriellen Familie. Die Geschichte spielt abwechselnd im Freiburg der 1990er und in Frankreich bzw. Deutschland der 1930er Jahre. Freundschaften, Beziehungen, Machenschaften, Politik, Verrat und Tod sind die Hauptthemen des Buches, gekoppelt mit deutsch-jüdischen Interaktionen jeder Art. Gut recherchiert, aber letztendlich, gerade zum Schluss hin, eher stereotypen Bildern entsprechend; die Aufdeckung der Familiengeheimnisse im Rahmen einer 2-tägigen Konferenz mit den Beteiligten fällt doch sehr trocken aus. Wer lange Monologe und juristisch angehauchte Texte mag, wird sich daran nicht stören.
Storks, Bettina (2014): Das Haus am Himmelsrand. Berlin: Piper.
LESEECKE: DAS HERZENSHÖREN
rezensiert von PUKI
Die vollkommenste Liebe der zeitgenössischen Literatur, die ich gelesen habe.
Sprachlich sehr überzeugend umgesetzt.
Das Birma der Vorkriegszeit ist absolut authentisch dargestellt, wodurch der Leser in eine weit entfernte Welt reisen darf, fremde Orte kennenlernt und fremdartige wie auch bekannte Situationen, begleitet von Menschen, die in ihrer Gefühlsreinheit strahlen – Freundschaft, Liebe, Geiz, Egoismus.
LESEECKE: DAS WAR ICH NICHT
rezensiert von PUKI
Dieser Roman ist aus drei Perspektiven verfasst: der eines amerikanischen Starautors namens Henry, seiner deutschen Übersetzerin Meike und eines deutschen und in den USA tätigen Finanzbrokers, Jasper. Was die drei miteinander verbindet oder verbinden wird, ist lange Zeit unklar, weshalb das Buch am Anfang etwas zerstückelt wirkt. Sobald sich aber herauskristallisiert, auf welchen gemeinsamen Punkt sich die Figuren hinbewegen, wird es zunehmend unterhaltsamer.
Sprachlich spiegeln sich in den Kapiteln, die aus der jeweiligen Perspektive der einzelnen Protagonisten erzählt werden, die grundsätzlichen Charakterunterschiede der Figuren wider – die etwas unterkühlte Übersetzerin, der gehetzte Broker und der poetisch-melancholische Schriftsteller.
Auch thematisch hat jeder einen eigenen Schwerpunkt, wobei Parallelen und Kontraste in den einzelnen Konstellationen angelegt sind. Während die Übersetzerin und der Broker beide Anfang dreißig sind und an ihrer Karriere feilen, aber in ganz unterschiedlichen materiellen Verhältnissen leben, ist der Schriftsteller um die sechzig, Pulitzerpreisträger, Multimillionär und in einer Schaffenskrise. Die beiden jungen Protagonisten geraten beide in eine Geldkrise, wobei es in ihrem Fall bei einer rein privaten Sache bleibt und es bei ihm eine internationale Dimension annimmt. Und schließlich sind alle drei vereinsamt, auch wenn die Gründe dafür unterschiedlich sind.
Der Roman ist nicht schlecht. Die Passagen, in denen Jasper, der Banker, Millionen verspekuliert, sind sogar sehr spannend, auch wenn viele Abschnitte zu wirtschaftslastig klingen – man hat stellenweise den Eindruck, in einem Handbuch für Börsianer zu blättern.
Mit der Lektüre des Romans kann man aber nicht viel falsch machen, allerdings kriegt man auch nicht viel zurück im Sinne einer tieferen Reflexion oder lebensphilosophischer Ideen. Das Buch wäre eine gute Filmvorlage für einen deutschen Fernsehfilm.
Rezensiert wurde:
Magnusson, Kristof (2011): Das war ich nicht. Goldmann: München.
Von PUKI | März 2021
Dieser Roman ist eine Komödie, die auf deutsch-türkischen Beziehungsstereotypen aufbaut. Daniel, der Sohn eines wohlhabenden deutschen Intellektuellenpaares, das eine offene Beziehung führt, auf moderne Kunst steht und die Verbrechen der Nazis bei jeder Gelegenheit entschuldigend ins Gespräch bringt, ist mit Aylin liiert, die aus einer sehr familienverbundenen, traditionellen türkischen Familien stammt. Das Beziehungschaos ist vorprogrammiert, da beide Erwartungen an eine Beziehung bringen, die der andere nicht erfüllt. So ist z.B. Daniel „der Boss“ und hat als Mann einer türkischen Freundin die Entscheidungen zu fällen, was der aber als moderner Deutsche in Absprache mit seiner Freundin tun will. Für meinen Geschmack ist das Buch zu platt. Es werden zu viele 0815-Lachmomente eingesetzt, die eines ausgereiften Buches nicht würdig sind. Schade, dass das Thema interkultureller Beziehung wieder einmal in einem deutschen Roman auf derartige Oberflächlichkeiten reduziert wird.
Nettenjakob, Moritz (2012): Der Boss. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
LESEECKE: DEM HORIZONT SO NAH
rezensiert von PUKI
Dieses Buch zu rezensieren, bringt die Schwierigkeit mit sich, dass es – gemäß den Angaben der Autorin auf dem Klappentext und im Epilog – auf einer wahren Begebenheit beruht und man der Autorin, die in dem Roman eine tragische Geschichte aus ihrem eigenen Leben enthüllt, mit einer Kritik zu nahe treten kann.
Trotzdem wurde Dem Horizont so nah als ein Roman veröffentlicht und als solchen möchte ich ihn genauer betrachten, und zwar nach den regulären Pe-Log-Kriterien: Sprache, Erzählstruktur, Handlung.
Sprachlich erfüllt das Buch m. E. nicht ausreichend die notwendigen Kriterien, um als „schöngeistig“ bezeichnet zu werden. Es sind keine Stilmittel oder sprachlichen Besonderheiten zu erkennen. Daran ändern auch die eingebauten Gedichte nicht viel. Die einzige sprachliche Eigenheit ist die innere Stimme der Erzählerin, die optisch kursiv hervorgehoben wird.
Da zudem der Verdacht besteht, dass die Autorin gar keine Fiktion verfassen wollte, kann man gleich die Frage stellen, ob der Roman als sprachliche Form die passende Hülle für die Geschichte ist und ob nicht eine (Auto-/)Biografie oder Memoiren geeigneter wären.
Die Erzählstruktur erscheint mir nicht ausgereift. Oder umgekehrt ausgedrückt: Die Autorin scheint sich in ihrer Erzählung akribisch an die Abfolge der Geschehnisse zu halten, was für eine Nicht-Fiktion spricht, und würde raffiniertere Ergebnisse erzielen, wenn sie sich von den einzelnen Schritten der jeweiligen Handlungen loslösen und eine freier Struktur wählen würde. Um ein Beispiel zu nennen: In der Szene, als Jessica erfährt, dass Danny HIV-positiv ist, stürzt sie aus dem Haus, irrt mit dem Auto durch die Nacht, bleibt auf einem Rasthof stehen, telefoniert, überlegt, was sie weiter tun soll und kehrt schließlich zu Danny zurück. Es ist gut vorstellbar, dass sich die Situation genauso abgespielt hat. Aber interessanter wäre bspw. ein Sprung zum nächsten gemeinsamen Augenblick und eine Auflösung erst im Nachhinein, sodass der Leser nicht sofort erfährt, was genau hintereinander vorgefallen ist. Durch ein solches Aufbrechen linearer Erzählstrukturen würde der Roman aus meiner Sicht sprachlich viel wertvoller werden.
Was die Handlung anbetrifft, so sind alle Details in sich stimmig.
Jessica Koch berührt in ihrem Buch nicht nur schwierige Themen, wie sexuelle Misshandlung beider Geschlechter, HIV, Drogen, Mobbing und Gewaltverbrechen, sondern auch Tabuthemen, allen voran die Vergewaltigung der eigenen Kinder.
Die Liebesgeschichte von Danijel und Jessica ist so traurig wie überzeugend, zeugt von vollkommener Hingabe und emotionaler Reife junger Menschen, wie sie in unserer Gesellschaft selten anzutreffen ist. Das einzige handlungstechnische Element, das mich stört, kommt gleich zu Beginn des Buches vor: Dass die 17-jährige Protagonistin es für selbstverständlich hält, ganze Wochenenden mit ihrem Freund zu verbringen, mit dem sie seit über drei Jahren liiert ist oder dass es für sie selbstverständlich ist, sich mit Gleichaltrigen in der Disco zu betrinken, ist erschreckend. Andererseits wird dadurch der Kontrast zu ihrem reifen Verhalten gegenüber Danny hervorgehoben.
Alles in allem verbirgt sich hinter Dem Horizont so nah kein kitschiger Liebesroman, wie es das Cover und der Buchtitel signalisieren, sondern eine tragische, äußert emotionale Liebesgeschichte. Um die Lektüre zu verarbeiten, braucht der Leser gute Nerven und eine Menge Taschentücher; die Geschichte bleibt einem Tage lang im Gedächtnis haften.
Rezensiert wurde:
Koch, Jessica (2016): Dem Horizont so nah. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
LESEECKE: DER TRAUM VON RAPA NUI
rezensiert von PUKI
Der Titel und der Umschlag täuschen – das Buch wirkt auf den ersten Blick wie ein billiger Kitschroman, erweist sich aber überraschenderweise schon auf den ersten Seiten als ganz und gar nicht abgedroschen. Zunächst fallen sehr positiv die Naturbeschreibungen der Autorin auf: Ob romantisch oder düster – sie sind oft sehr poetisch und „schön“. Dann die Ausgereiftheit der Charaktere: Jeder hat ein eigenes unverkennbares Profil, ist in sich stimmig aufgebaut und logisch in den Verlauf der Geschichte eingebettet. Und schließlich die Gewandtheit der Autorin in dem Thema, das sie aufgreift – man merkt von Anfang an, dass sie sich in die Geschichte der Osterinseln im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht nur flüchtig eingelesen hat, sondern in diese richtig vertieft hat. Die Beschreibungen der Bräuche und Sitten, der Natur, der geopolitischen und sozial-religiösen Situation sowie die Verwendung vieler einheimischer Wörter sind überzeugend und zudem gekonnt in die Erzählung eingebaut. Und interessanterweise kommt auch die Handlung nach einigen etwas zähen Seiten in Gang, und zwar sobald sich die Hauptprotagonisten Katharina und Aaron auf dem Schiff nach Rapa Nui kennenlernen. Ab etwa der Hälfte des Buches wird die Handlung so spannend, dass sich einem vor dem geistigen Auge Bilder aufdrängen, in denen die Handlung lebhaft wird. Zwar gibt es einige erzählerische „Schleifen“, die für die stringente Erzählung nicht notwendig wären und das Buch unnötig in die Länge ziehen, aber da es so interessant geschrieben ist, verzeiht man diese und genießt einfach die zusätzlichen Seite Lesefreude.
Was ich mir nach der Lektüre von Der Traum von Rapa Nui wünschen würde, ist eine Verfilmung des Romans. Es eignet sich bestens für einen langen Spielfilm, vielleicht sogar in einer Kinoversion. Mit einem Kevin McKidd als Barnabas Wilkinson, einer jungen Version von Jodie Foster als Katharina Steiner und Adrien Brody als Pastor Aaron Hayes.
Rezensiert wurde:
Federico, Carla (2014): Der Traum von Rapa Nui. München: Knaur.
Fängt etwas morbid an und ist nicht so ganz lustig, wie es verspricht zu sein, aber eine insgesamt passable Lektüre über die Freundschaft mehrerer Frauen, die eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela begeben. Zu viele Klischees und Stereotypen für eine gute Geschichte, aber es gibt durchaus schlechtere auf dem Markt.
Peetz, Monika (2011): Die Dienstagsfrauen. Köln: Kiepenheuer.
PUKI, Januar 2021
Wenn man zu diesem Buch greift, muss man unbedingt wissen, dass es aus der Perspektive einer Katze geschrieben ist. Das ist für einen Erwachsenenroman eher eine Seltenheit und sehr seltsam zu lesen. Dabei ist die Geschichte an sich ganz passabel, nur dass man als erwachsener Leser einfach den Eindruck nicht los wird, dass das Genre verfehlt ist. Das Buch müsste als Jugendroman erscheinen, vielleicht um ein paar Szenen bereinigt, aber doch für ein jugendlichen Publikum ausgelegt, dann wäre das Ergebnis eher ein kohärentes Ganzes und keine literarische Anstrengung.
Schacht, Andrea (2006): Die Lauscherin im Beichtstuhl. München: blanvalet.
LESEECKE: DIE MÜTTER-MAFIA
rezensiert von PUKI
Ein Buch, das gleichermaßen unterhält wie irritiert – aufgrund der authentisch geschilderten Problematik einer scheiternden Ehe und der zugehörigen Probleme der alleinerziehenden und nicht berufstätigen Constanze. Es ist daher keine empfehlenswerte Lektüre für Frauen, die sich gerade selbst in einer solchen Situation befinden.
Sehr schön dargestellt ist die innige Beziehung zwischen Constanze und ihrem vierjährigen Sohn. Das Verhalten des Jungen ist bis ins Detail überzeugend beschrieben, z.B. wie er sich an das Hosenbein der Mutter klammert und so sein Bedürfnis nach Nähe ausdrückt, was wiederum auf Constanze abfärbt. Derartige Beschreibungen stehen im Kontrast zu der Unart vieler heutiger Autoren, Alltagssituationen so allgemein und platt darzustellen – vermutlich nur, um Seiten zu füllen –, dass man den Eindruck hat, sie haben sie weder selbst erlebt noch sich in sie hineinvertieft, um überhaupt über sie zu schreiben. Vor diesem Hintergrund ist die Authentizität der Mutter-Kind-Beziehung eindeutig eine Stärke des Buches.
Erzählerisch ist das Buch zweigeteilt – in den eigentlichen Roman und in Auszüge aus einem fiktiven Internetforum, das die Mütter einer Kleinstadt gegründet haben. In den Beiträgen der einzelnen Forumsmitglieder dieser so genannten Mütter Society wird die Bissigkeit der meisten dieser Frauen deutlich. Es sind teilweise Hausfrauen und teilweise Karrierefrauen, die ihre Kinder auf besonders wertvolle Weise fördern wollen, aber sich letztendlich keine Zeit für die Kleinen nehmen, bis hin zur Vernachlässigung und Verharmlosung von sexuellem Missbrauch; die meisten Aktivitäten ihres Clubs dienen der Selbstdarstellung. Die Gegenbewegung dazu, die Mütter-Mafia, entwickelt sich um Constanze herum und besteht aus Frauen, die sich selbst als Rabenmütter ansehen, aber sich im Grunde besser um ihre Kinder kümmern und sogar die Probleme der Kinder der eingebildeten Mütter lösen. Man könnte also bei der Mütter-Mafia von Gesellschaftskritik im kleinen Rahmen sprechen.
Sprachlich erinnert der Roman ein wenig an Vanderbekes Geld oder Leben. Auch Constanze wirkt nämlich zunächst wie eine naive Erzählerin und erst im Verlauf des Buches gewinnt man den Eindruck, dass sie ihr Leben durchaus tiefgründig reflektiert und auch anderen gegenüber schlagfertig sein kann.
Ob das Buch empfehlenswert ist? So, wie es beworben wird, nicht, grundsätzlich aber ja. Es ist weniger ein Buch über verrückte Mütter, dessen Lektüre Unterhaltung im Stil von Desperate Housewives verspricht, sondern eher ein Buch über den völligen Neuanfang einer mitten im Leben stehenden Mutter zweier Kinder, die urplötzlich von ihrem reichen Mann verlassen wird. Und wie sich ihre anfängliche Hilflosigkeit und soziale Abgeschiedenheit dank der Hilfe alter und neuer Freunde in eine durchaus stabile Lebensführung wandelt. Diese Grundsituation wird von den Allüren der selbsternannten Supermütter um sie herum begleitet, mehr aber auch nicht, denn die eigentliche Geschichte ist die von Constanze und ihren Kindern.
Rezensiert wurde:
Gier, Kerstin (2005): Die Mütter-Mafia. Köln: Bastei Lübbe.
LESEECKE: DIE SCHÖNSTEN JAHRE
rezensiert von PUKI
Die Liebesgeschichte, die sich hinter dieser Erzählung verbirgt, ist viel spezieller als der Titel einen vermuten lässt.
Zunächst einmal besticht das Buch durch eine seltene Handlungssituation: Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Verbindung zwischen einer erwachsenen Frau, Nina, und ihrer achtzigjährigen Mutter. Beide Frauen sind letztendlich lesbisch, ohne je die Möglichkeit zu haben, sich darüber auszusprechen.
Die „schönsten Jahre“ spielen auf eine Foto-Notiz an, die Nina nach dem Tod ihrer Mutter findet, und beziehen sich auf die Zeit zwischen 1940 bis 1945. Als damals Ninas Vater im Krieg war, hatte ihre Mutter eine Liebesbeziehung mit ihrer Schwägerin, Karla. Aus ihren Andeutungen geht hervor, dass Karla ihre einzige große Liebe war.
Die Geschichte der Mutter erinnert an die Handlung aus dem Film Aimeé & Jaguar, ohne den jüdisch-„arischen“ Kontext.
Die wenigen Rückblenden, in denen die Mutter über die Kriegsjahre erzählt, sind sehr authentisch und ergreifend. Zum Beispiel, wie sie ihre Tochter während eines Bombenangriffs bei Kerzenschein entbunden hatte. Auch die Offenheit, mit der darüber gesprochen wird, wer in der Familie zu den Nationalsozialisten gehörte, ist erstaunlich, und die wenigen zugehörigen Geschichten erschütternd, z.B. von Onkel Willi, der in Polen einem Juden den Finger abgeschnitten hatte wegen eines Diamantringes, den dieser trug; den Ring würde zum Zeitpunkt der Erzählung seine Frau Maria immer noch tragen…
Sprachlich wie erzählerisch sind Die schönsten Jahre sehr ansprechend und eine gute Wahl für jeden Leser, der anspruchsvolle Literatur mag.
Rezensiert wurde:
Heidenreich, Elke (2015): Die schönsten Jahre. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch. (Lizenzausgabe der Ausgabe von 2001, erschienen in: Der Welt den Rücken. München: Carl Hanser Verlag.)
Jein. Dieses Buch muss man nicht wirklich lesen. Der Titel verspricht zwar eine amüsante Lektüre, aber der humorvolle Anteil hält sich in Grenzen. Der Roman setzt eher auf Stereotype und 0815-Humor. Weder die Mann-Frau-Ebene ist besonders originell noch die Geschichten aus dem Kindergarten, in dem die schwangere Protagonistin Maja arbeitet. Ein gutes Buch sollte in jeder Hinsicht ausgereifter sein.
Käppler, Juliane (2017): Die Schwangerschaft des Max Leif. München: Knaur.
LESEECKE: DIE VERMESSUNG DER WELT
rezensiert von PUKI
Die Grundidee des Buches ist, dass zwei außerordentliche Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, nebeneinandergestellt werden, ihr Leben und Wirken beschrieben wird und schließlich ihre erste und einzige Begegnung.
Die historischen, gesellschaftspolitischen, kulturellen, alltäglichen sowie die wissenschaftlichen Hintergründe scheinen dabei sehr genau recherchiert worden zu sein. Hätten Sie bspw. gewusst, dass man bei Reisen mit Postkutschen die Pferde jeweils nach einer Etappe auswechseln konnte? Man ist als Leser nicht nur von der Authentizität der Schilderungen überzeugt, sondern erlebt auch immer wieder Aha-Moment, vor allem im Zusammenhang mit der Beschreibung von Personen, die damals gelebt und gewirkt hatten – Wissenschaftler, Forscher, Entdecker, Literaten. Wer hat zum Beispiel als Erster eine Ballonfahrt unternommen, wer hat die ersten Fotos gemacht usw.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch ein Kritikpunkt anzubringen: Die Beschreibung der Messinstrumente und Ausschweifungen über bestimmte Theorien, wie Neptunismus, liest sich sehr schwer. Die Abschnitte passen weder zur Prosalektüre noch zu einem Fachtext, da sie nicht sachlichen genug sind.
Hinsichtlich der Gestaltung der Charaktere der Hauptprotagonisten ist es schade, dass etwa nach einem Drittel des Buches, ab dem Treffen zwischen Humboldt mit Bonpland, Humboldt sehr scharf in die Richtung eines humorlosen Preußen entwickelt wird. Falls dieser Unterschied eine rein literarische Entscheidung des Autors war, um den Kontrast zwischen den beiden Männer deutlich herauszustellen, halte ich sie für nicht sehr gelungen.
Sprachlich erinnert der Roman stellenweise an den magisch-realistischen Erzählstil von Márquez – immer dort, wo die geschilderte Realität in Magie übergeht und man nicht feststellen kann, wo genau der Übergang beginnt. Interessant ist, dass sich diese Abschnitte thematisch mit Humboldts Reise durch Südamerika decken. Diese Passagen sind die poetischsten im gesamten Buch. Allerdings würde ich dem Klappentext nicht zustimmen, der Die Vermessung der Welt als einen der größten Romane der deutschen Nachkriegszeit bezeichnet. Sicherlich, die magisch-realistischen Stellen der Urwaldexkursionen sind sprachlich wertvoll, aber ob sie für eine so hohe Einschätzung reichen? Alles weitere, wie eine fundierte Recherche und eine interessante Handlungsidee, ist selbstverständlich auch eine schriftstellerische Leistung, aber eben noch keine literarische.
Rezensiert wurde:
Kehlmann, Daniel (2008): Die Vermessung der Welt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
PUKI, Januar 2021
Ein sehr düsteres Buch, in dem Vieles um den Tod kreist. Das Leben am Rande des Existenzminimums, in den Bergen, fernab der Gesellschaft, ist sehr überzeugend dargestellt, ebenso wie das Profil eines ignoranten Wehmachtsoldaten.
Keine leichte Kost.
Seethaler, Robert (2016): Ein ganzes Leben. München: Goldmann. (Originalausgabe bei Carl Hanser, München, 2014)
LESEECKE: EINE WEIHNACHTLICHE LIEBESGESCHICHTE
rezensiert von PUKI
Das Buch ist eine längere Erzählung – für einen Roman ist es zu kurz. Die Geschichte wird durchgehend aus zwei Perspektiven erzählt, und zwar aus der von einem jungen Mann namens Sami und aus der von Katharina, einer Apothekerin.
Es ist wohl das erste Buch, das ich gelesen habe, bei dem die Sprache durchaus überzeugt, aber die Erzählung und die Geschichte an sich nicht ausgereift sind. Das ist schade, denn die Autorin hat Potenzial, möchte man sagen. Sie schreibt „ordentlich“, verwendet vielfältigen Wortschatz, der Satzbau ist weder zu simpel noch zu hochtrabend, auch wenn hin und wieder sperrige Konstruktionen an Lateinunterricht erinnern, z.B. Partizipien in der Funktion eines Gerundivs etc.
Was aber der Erzählung meiner Meinung nach fehlt, ist etwas Länge und Präzision – so, wie sie nämlich erzählt wird, wird man mit den Protagonisten nicht warm. Dabei hat die Autorin beiden durchaus ein markantes Profil gegeben, nur dieses eben nicht richtig ausgedrückt oder auszudrücken gewusst. Wie ein Koch, der ein tolles Gericht zaubern möchte, aber die Kartoffeln halb roh belässt und die Möhren ungeschält serviert.
Die Handlung selbst ist etwas skurril, aber ok – schließlich gibt es so mancherlei seltsame Bücher, die eine große Leserschaft beeindruckt haben. Ich finde aber, dass es sich lohnen würde, statt die Szenen am Friedhof in aller Ausführlichkeit zu beschreiben, in die Gefühlswelt von Sami und Katharina tiefer einzutauchen. Ähnliches gilt für die Figur der alten Dame: Sie ist nicht überzeugend. Wenn die Autorin sie absichtlich nicht zu ausführlich geschildert hat, dann hätte sie sie wenigstens über Sami und Katharina, also indirekt, etwas deutlicher herausarbeiten müssen; damit wäre sie geheimnisvoll geblieben, aber für den Leser greifbarer geworden.
Und schließlich noch ein Wort zum Titel und zum Umschlag: Beides ist unpassend und weckt falsche Assoziationen. Besser geeignet wäre das Bild von verschiedenen Gewürzen, z.B. auf einem Apothekentisch, und als Titel z.B. „Das Geheimnis der Gewürzgläschen“, „Was die Apothekerin wusste“ oder „Die Gewürze der Liebe“.
Rezensiert wurde:
Jonuleit, Anja (2015): Eine weihnachtliche Liebesgeschichte. München: dtv. [2011].
Und wieder ein Roman, der uns in den Süden führt – ins sonnige Italien. Doch anders als z.B. in Limoncinis Buch stehen hier keine störenden Klischees im Vordergrund. Die Story ist gut nachvollziehbar und die literarische Reise in den Süden anregend, nicht zuletzt kulinarisch. Ein erfolgreicher Anwalt, Marco, und gebürtiger Italiener muss aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten und fährt spontan in sein Geburtsdorf Amalfi. Dort erwartet ihn zwar nicht die erhoffte Idylle, aber doch eine Welt, die anders funktioniert als München – langsamer, empathischer, rücksichtsvoller. Marcos alter Vater, Eigentümer einer Zitronenplantage, braucht dessen Hilfe. Die Begegnung mit alten Freunden sowie seiner Jugendliebe und auch der Besuch von Marcos Kindern in Amalfi tragen dazu bei, dass der Anwalt sein Leben neu ordnen kann.
Das Buch liest sich schön und macht Appetit auf Zitronen in den unterschiedlichsten Zubereitungsarten.
Matisek, Marie (2018): Ein Sommer wie Limoneneis. München: Knaur.
LESEECKE: GELD ODER LEBEN
rezensiert von PUKI
Geld oder Leben ist eine Erzählung, vielleicht auch eine Novelle.
Sprachlich konsequent, erzählerisch einfallsreich und handlungstechnisch originell.
Das Buch ist gänzlich aus der Perspektive der jungen Erzählerin verfasst und umfasst ihre Kindheit, Jugend und jungen Erwachsenenjahre, geht auf ihre Schul- und Studienzeit und das junge Familienleben ein.
Zunächst hat man den Eindruck, die Erzählung eines Kindes zu lesen, weil die Sätze sehr lang und die Argumente durch zahlreiche Wiederholungen und Plattitüden naiv wirken. Mit der Zeit kristallisiert sich aber heraus, dass es doch die Denk- und Sprechweise einer Erwachsenen ist und ihre teilweise banalen Argumente auf durchaus tieferen Erkenntnissen basieren, als man zunächst meint.
Die Besonderheit dieses Buches, wie mir scheint, ist die Art und Weise, wie gesellschafts-/politische Ereignisse der jüngsten deutschen Vergangenheit in die Erzählung eingebettet sind: unverkennbar, aber zugleich indirekt. Zum Beispiel wird auf die Ölkrise 1973 und das sonntägliche Fahrverbot in Deutschland folgendermaßen angespielt: „Mein Vater war ziemlich wütend, weil er sonntags sehr gern seinen Frust auf der Autobahn abreagierte, er fuhr ein paar hundert Kilometer und sagte, das tut den Zündkerzen gut, und am Abend kam er dann wieder nach Hause und war gleich viel ausgeglichener, aber plötzlich sagte die Regierung, daß er seine PS jetzt gefälligst am Sonntag in der Garage stehen lassen sollte, und das nicht nur einmal, sondern bis Weihnachten, und gerade vor Weihnachten war es nicht günstig, wenn er seinen Frust nicht abreagieren konnte. Er fluchte auf die Araber und wählte die Regierung nie wieder.“ (S.24f.)
Durch eine solche Einbettung zahlreicher Realia und gesellschaftlicher Entwicklungen eignet sich das Buch hervorragend, um in der Mittelstufe oder im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht das zugehörige Wissen in Geschichte, Politik und Sozialkunde abzufragen bzw. um zu überprüfen, ob die Lesekompetenz ausreicht, um diese Aspekte in der Lektüre zu erkennen. Anders ausgedrückt: Wer die Zusammenhänge in Geld oder Leben erkennen kann, hat im Großen und Ganzen das Deutschland der Nachkriegszeit verstanden.
Rezensiert wurde:
Vanderbeke, Birgit (2011): Geld oder Leben. Frankfurt (M): Fischer Taschenbuch. (Lizenzausgabe der Ausgabe von 2003, Frankfurt (M): Fischer.)
Von PUKI | März 2021
Dieses Buch erfüllt so ziemlich alle Kriterien, um als Kitsch eingestuft zu werden, und doch hat es einen gewissen Charme. Es geht um Liebe, Familienerbstücke, ungewöhnliche Neuanfänge und alles eingebettet in eine spontane Suchreise quer durch Schottland, zu der die Rechtsanwältin Jo aufbricht, um ihre Cousine Charlie wiederzufinden. Begleitet wird sie von ihren zwei älteren Tanten, die als Doppelgespann für viel Humor sorgen. Da Jo selbst mit einem unterkühlten deutschen Rechtsanwalt liiert ist, ist es eigentlich vorprogrammiert, dass sie sich in den romantischen Bäcker Aidan verliebt. Eine schöne und leichte Lektüre.
Winter, Claudia (2017): Glückssterne. München: Goldmann.
LESEECKE: KARL KONRADS HEIMLICHES AFRIKA
rezensiert von PUKI
Dieses Buch könnte im Deutschunterricht als ein zeitgenössisches deutsches Beispiel einer Utopie dienen – eine auf dem Belletristikmarkt äußert seltene Kategorie.
Abgesehen davon überzeugt es in sehr vieler Hinsicht und lässt auf eine sehr gute Beobachtungsgabe des Autors schließen. Sprachlich passt es sich ideal der Handlung an – nicht zu viel und nicht zu wenig.
Aber worum geht es: Ein recht biederer Mann namens Karl Konrad lebt in einem winzigen Dorf irgendwo in Deutschland und pflegt seine alte Mutter. Eine Postkarte seines vor zwanzig Jahren nach Afrika abgereisten Bruders ist der Anlass dazu, dass er in einem sehr heißen und trockenen Sommer sein eigenes Afrika in den dorfnahen Wäldern aufbaut. Hierbei sind ihm zwei afrikanische Flüchtlinge behilfliche, die sich nicht nur durch ein einwandfreies Deutsch auszeichnen – in ihrem afrikanischen Dorf haben sie Jahre lang für einen Deutschen gearbeitet –, sondern durch eine Mentalität, die deutscher ist als die des Protagonisten. Dieser Umstand gründet auf einem sehr originellen und ulkigen Gedanken des Autors und führt zu einer äußerst unterhaltsamen Absurdität vieler Szenen, in denen die beiden Afrikaner Diskussionen in einem „typisch deutschen“ Stil führen.
Das Abbild einer deutschen Kleinstgesellschaft ist ebenfalls wunderbar gelungen, reflektiert und trotz aller Rangeleien zwischen den Figuren auf einem zwischenmenschlichen Fundament des Wohlwollens aufgebaut sowie mit einem Augenzwinkern des Autors versehen.
Ein sehr empfehlenswertes Buch.
Rezensiert wurde:
Beckerhoff, Florian (2012): Karl Konrads heimliches Afrika. Berlin: List.
Shorts: Landliebe
Februar 2020
PUKI
Nein, bitte nicht kaufen. Dieses Buch lohnt sich nicht. Es ist quasi "Bauer sucht Frau" in Buchform und weder überzeugend noch unterhaltsam.
Lukas, Jana (2017): Landliebe. München: Heyne.
Eins der wenigen zeitgenössischen Bücher, von denen ich mir gerne die Fortsetzung schenken lassen würde. Skurril, einfallsreich, gut geschrieben, spannend, witzig, unterhaltsam. Es geht um sprechende Hunde, Feen, Zauberlandschaften und alles eingebettet in eine sehr nüchterne Realität. Schenken Sie dieses Buch jemandem, der genug Fantasie hat, es wertzuschätzen.
Simon, Lars (2017): Lennart Malmkvist und der ganz und gar wunderbare Gast aus Trindemossen. München: dtv.
LESEECKE: MARITAS COUCH UND DIE LIEBE ZUM LEBEN
rezensiert von PUKI
Wenn man vor dem Bücherregal steht und zu diesem Buch greift, dann wegen des nach Schlamassel klingenden Titels in Kombination mit dem Buchcover, das Entspannung verspricht. Beide Erwartungen werden zwar erfüllt, aber nicht in dem Maße, dass man sich wirklich unterhalten fühlt.
Es geht gleich los mit einem vor Wiederholungen überlaufenden Anfang – ein Witz, den man kommentiert, und das mehrmals, verliert einfach seine Funktion. Man möchte der Autorin sagen, ja, ich habe verstanden, dass die Situation seltsam und komisch ist, du musst es mir nicht zum fünften Mal erklären, wie seltsam und komisch es ist, dass die Nachmieterin einer Psychotherapeutin Besuch von deren neuen Patienten bekommt, die sich einfach auf ihre Couch setzen und anfangen, zu erzählen. Entweder hat sich die Autorin in ihre einzelnen Vergleiche „verliebt“ und konnte auf keinen verzichten oder sie versucht auf diese Weise den doch recht unglaubwürdigen Start der Geschichte zu rechtfertigen, und zwar indem sie auch die Protagonistin, Marita, die Vorfälle für unglaublich halten lässt.
Die Patienten selbst haben letztendlich auch keine besonders interessanten Probleme; man liest über Eheprobleme, nicht erfüllende Familienkonstellationen, Diskrepanzen zwischen Job und Privatleben – ok. Aber es passiert nichts Spannendes, nichts Romantisches, nichts Lustiges, nichts Erzählenswertes, und zwar weder bei Marita noch bei ihren „Patienten“.
Was auch weder der Buchrücken noch das Cover verraten, ist, dass die Erzählerin frisch verwitwet ist und sich dieses Thema durch das gesamte Buch hindurchzieht. Die Erzählung ist dadurch nicht deprimierend, viel eher hat man den Eindruck, die Erzählerin ist in ihrer Trauerarbeit nicht emotional genug, und doch ist die Grundstimmung nicht heiter. Das stört einen als Leser schon, und zwar nicht wegen der gewählten Erzählerin, sondern weil man die Lektüre unvorbereitet darauf beginnt, mit dem Seelenkostüm einer frisch verwitweten Frau konfrontiert zu werden.
Sprachlich und erzählerisch ist der Roman passabel; er hat einige sehr lustige Stellen, an denen die Erzählerin einfach Dinge sagt oder denkt, die man sicherlich als politisch nicht korrekt und doch als wahr bezeichnen würde. Vor allem in Bezug auf Mann-Frau-Beziehungen, insbesondere auf die klassische Aufteilung Frau als Mutter und Mann als Verdiener, die sich bei Paaren entweder aus Mangel an Alternativen einschleicht oder aber vom karrierebewussten Mann so eingeleitet bzw. von der aufopferungssüchtigen Frau so hingenommen wird.
Dem Roman fehlt aber eine Pointe, etwas, was ihn nachhaltig im Gedächtnis platziert. Es würde sich bspw. anbieten, dass sich Maritas letzte Patientin, Ellen, als die Vormieterin und echte Psychotherapeutin, Tanja Schenk, erweist – man wartet bis zum letzten Dialog auf diesen Verlauf der Dinge. Es könnte auch irgendetwas ganz anderes sein, vielleicht im Zusammenhang mit dem Studienkollegen, mit dem Marita herumwitzelt. In jedem Fall würde eine überraschende Wendung der doch recht faden Erzählung gut tun.
Rezensiert wurde:
Schlieper, Birgit (2013): Maritas Couch und die Liebe zum Leben. München: Goldmann.
Von PUKI | März 2021
Und wieder einmal eine Geschichte mit der stereotypen Konstellation: Eine Frau mittleren Alters ist beruflich und privat nicht besonders erfolgreich und kehrt auf ihre Heimatinsel zurück. In dem Fall heißt die Protagonistin Isla und die Insel Bailevar. Der zugehörige Traummann heißt Finn, leitet ein Restaurant-Gasthaus und wartet quasi sehnsüchtig auf Isla. Leider passiert im Verlauf des Buches nicht mehr viel Aufregendes. Man kann es lesen, es muss aber auch nicht sein.
Sanders, Anne (2017): Mein Herz ist eine Insel. München: blanvalet.
Eine von den typischen Geschichten über Frauen, deren vermeintlich glückliches Leben als Ehefrau und Mutter plötzlich zu Ende geht und sie auf einmal vor einem persönlichen Scherbenhaufen aufwachen. Rieke ist Mitte vierzig, wohnt mit Ehemann und Kind in einem schönen Einfamilienhaus, als sich herausstellt, dass Clemens, ihr Mann, mit der Nachbarin eine Affäre hat. Unter dem Vorwand einer Renovierung flüchtet sie zu ihrer Mutter, die kürzlich verwitwet ist. In ihrem Heimatdorf begegnet Rieke früheren Klassenkamerad_innen, u.a. dem „Nachbarsjungen“ Michael, der inzwischen Anwalt ist, aber noch zusammen mit seinen Eltern wohnt. Eine Reise in die Vergangenheit beginnt, die in einem glücklichen Neuanfang endet.
Bloom, Franka (2018): Mitte 40, fertig, los. Reinbek: Rowohlt.
Von PUKI | März 2021
Eva steht zwischen zwei Männern. Dem bodenständigen Johannes, einem jungen Lehrer, mit dem sie seit mehreren Jahren liiert ist, und dem romantischen Tobias, einem erfolgreichen Ausstellungskurator. Und dann ist da noch ihre Oma, die sich von dem Opa getrennt hat und ein neues Leben beginnen will. Beide beschließen kurzerhand nach Italien zu reisen, um etwas Schönes zu erleben und den Problemen zu entkommen. Am Ende hat Eva noch keine Entscheidung getroffen und die Oma verstirbt am Meer. Tja, genauso enttäuschend ist es, das Buch zu Ende zu lesen – es ist kein Happy End, das in der Belletristik üblich ist, was an sich vom Mut der Autorin zeugt, sich gegen die Genrekonventionen zu entscheiden. Leider fällt die gewählte Alternative nicht besonders interessant aus. Das Buch an sich ist ok, aber kein Hit.
Heinrich, Sabine (2014): Sehnsucht ist ein Notfall. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Shorts: Sungs Laden
Februar 2020
von PUKI
Für mich eines der wenigen Highlights der aktuellen deutschen Romanlandschaft. Poetisch, einfallsreich, anregend, wohlgeformt, sprachlich adäquat umgesetzt - ein Buch, das zum Träumen anregt, zum Handeln motiviert und kulturelle Diversität propagiert ohne den Zeigefinger zu erheben.
Die Autorin vermittelt zudem weitgehend unbekannte Fakten über die deutsch-vietnamischen Beziehungen zu Zeiten des Kalten Krieges und konstruiert im heutigen Berlin so überzeugend Events, Freiräume und Welten, dass man sich unweigerlich fragt, ob diese tatsächlich existieren oder lediglich der Vorstellungskraft der Autorin entspringen.
Ein Buch, für das ich persönlich der Autorin dankbar bin.
Kalisa, Karin (2017): Sungs Laden. München: Droemer.
Shorts: Tante Inge haut ab
Februar 2020
von PUKI
Ein schön geschriebenes Buch, in dem ein paar rüstige Rentner im Mittelpunkt stehen, u.a. eine Großer-Bruder-kleine-Schwester-Konstellation, und deren Macken sehr witzig dargestellt sind. Gut beobachtet! Die Hinwendung der Herrschaften zur jungen Generation mit ihren Problemen ist ebenfalls erbaulich.
Dora Heldt (2011): Tante Inge haut ab. München: dtv.
LESEECKE: TIPSYS SONDERLICHE LIEBESGESCHICHTE
rezensiert von PUKI
In jeder Hinsicht ein wunderbares Buch.
Die Sprache poetisch, die Bilder sehnsüchtig zauberhaft und die Charaktere von einer vordekadenten Reinheit geprägt.
Schade, dass dieses Buch in Vergessenheit geraten ist – oder kannten Sie den Titel oder die Autorin? Die Geschichte erinnert von der Atmosphäre her an Krieg und Frieden, besitzt jedoch dessen Langatmigkeit nicht. Es schreit geradezu nach einer Verfilmung: ein großbürgerliches Gut im fernen Estland des 19. Jahrhunderts, ein Stab Erzieherinnen rund um die kleine Maria-Gabriela genannt Tipsy, der benachbarte Baron mit seinem ironischen Lächeln, erste Ballkleider, ein Schneesturm, die Einladung zu einer Hochzeit und inmitten all dessen eine sanfte, humorvolle und romantische Liebesgeschichte. Eine hervorragende Vorlage für einen Kostümfilm im Genre einer Liebeskomödie und um ein Vielfaches einfallsreicher und gewitzter als die meisten Hollywood-Drehbücher von heute.
Die Erzählung ist mit einer Praline vergleichbar: schön, fein und voller Genuss.
Eine herrliche Lektüre für einen entspannten Abend.
Rezensiert wurde:
Hueck-Dehio, Else (1981): Tipsys sonderliche Liebesgeschichte. Heilbronn: Eugen Salzer. [1959]
Dieser Roman führt uns nach Frankreich, genau genommen in die Normandie, nach Barfleur und erzählt in Rückblenden von den wenig bekannten Schicksalen junger Frauen, die sich während des Krieges mit den feindlichen Besatzungsmächten eingelassen hatten und von ihnen schwanger wurden – dass diese Frauen nach Ende des Krieges in so etwas wie Volksurteilen kahlgeschoren und durch die Straßen gehetzt wurden, teils mit ihren Kleinkindern im Arm, ist eher unbekannt. Der Roman trägt somit zur allgemeinen Aufarbeitung der frühen Nachkriegszeit auf.
Bonamy, Claire (2016): Wiedersehen in Barfleur. Berlin: Ullstein.
Dieses Buch funktioniert wenig als Buch, aber für einen Spielfilm wäre es eine gute Vorlage. Die Autorin reiht Szenen aneinander, die idyllisch, aber gleichzeitig völlig oberflächlich und unrealistisch sind. Die Figur der Mutter eines Kleinkindes, die ganz nebenbei eine Buchhandlung führt, abends ständig berufliche Termine wahrnimmt, Weihnachtsfeiern für das ganze Dorf schmeißt, um die Belange ihrer Freundinnen mehr besorgt ist als um ihre eigene Familie, eine fast perfekte Ehe führt, ständig von Selbstzweifeln geplagt wird und deren größtes Problem zu sein scheint, ob die Kirschzweige zu Weihnachten aufgehen, ist einfach lächerlich. Aber: Es gibt ein Happy End, davor eine „Katastrophe“ und irgendwie funktioniert das Ganze. Wenn man nicht mehr von einem Roman erwartet.
Engelmann, Gabriela (2016): Wintersonnenglanz. München: Knaur.
PUKI, Januar 2021
„Ella Cinderella“ ist die Protagonistin dieses Romans, der einfach nur furchtbar schmalzig ist. Andererseits ist es gerade das, was eine nette Gute-Nacht-Lektüre ausmacht – eine an sich unmögliche Geschichte, die am Ende gut ausgeht, wie bei Cinderella eben. Ella findet den Geldbeutel eines, wie sich herausstellt, wohlhabenden Mannes und will ihn zurückbringen. Unter witzigen Umständen bleibt sie dort hängen und er verliebt sich in sie mit der Zeit. Die vielleicht einzige inhaltliche Besonderheit ist die, dass Ella einen Blog betreibt, auf dem sie alle Märchen und Filme, die schlecht enden, umschreibt – zu einem Happy End. Am Ende tritt dieser Fall auch in ihrem eigenen Leben ein.
Lucas, Charlotte (2018): Wir sehen uns beim Happy End. Köln: Bastei Lübbe.
Internationale Literatur
LESEECKE: ALLES ODER NICK?
rezensiert von PUKI
Jein. Das heißt: die Story ja, die Sprache nein.
Die ersten paar Dutzend Seiten sind sprachlich (und erzählerisch) so anstrengend, dass man das Buch beiseite legen möchte: Es fehlt einfach an jeder Stelle an literarischer Qualität oder zumindest Kompetenz. Der Schreibstil ist nicht romantauglich – Alles oder Nick? kann als eine mündliche Erzählung in Schriftform eingestuft werden. Außerdem wird die Geschichte unnötig gedehnt und es gibt unzählige verbale Wiederholungen, die den Anschein erwecken, sie wären gezielt eingesetzt, was deren Nervigkeit aber nicht mindert.
Aber, und das verwundert angesichts solcher Mängel, die Story ist nicht schlecht. Sie könnte, wie etliche andere Pop-Romane, als Drehbuchvorlage dienen – Alles oder Nick? wäre mit Sicherheit ein sehr guter Fernsehspielfilm. Zwar gibt es auch bei der Handlung unnötige Verkomplizierungen, wie z.B. Jakes Unfall, aber die Liebesgeschichte ist schön. Rachel, eine attraktive, junge Telefonistin hat ein kurzes Techtelmechtel mit einem neuen Arbeitskollegen, Nick. Sie wird von ihm sitzen gelassen, entdeckt dann ihre Schwangerschaft, spielt lange mit dem Gedanken einer Abtreibung und lernt durch einen lustigen Zufall Hector kennen, der sich als Schwager ihrer besten Freundin entpuppt. Dem ihr noch völlig unbekannten Hector vertraut sie sich als einzigem Menschen an und er begleitet sie freundschaftlich durch die gesamte Schwangerschaft. Die Frage ist natürlich, ob die beiden zusammenfinden oder nicht.
Wenig glaubwürdig ist, dass der 33-jährige Hector eine riesengroße Firma besitzt und Multimillionär ist. Auch wenig glaubwürdig ist die Art und Weise, wie sich Rachel auf ihr erstes Kind vorbereitet – nämlich gar nicht. Kauft sie wirklich kein Babybettchen, keine Windeln und keine Kleidung vor der Entbindung? Und zieht sie ihrem Neugeborenen tatsächlich einen am Tag vor dessen Geburt geschenkten Strampler an, d.h. ohne ihn vorher gewaschen und gebügelt zu haben?
Erzählerisch bietet das Buch eine Besonderheit: Die Erzählerin ist zugleich die Protagonistin Rachel, die von ihrem aktuellen Standpunkt aus ein Jahr zurückblickt und ihre Geschichte von dem Moment der Empfängnis bis zur Entbindung erzählt, wobei sie immer wieder wie ein Kameramann das Geschehen heranzoomt oder ausblendet, es näher betrachtet oder zu einem anderen Ort springt. Das ist eine interessante Idee, allerdings leidet sie unter der sprachlich unreifen Umsetzung.
Alles in allem ist das Buch eine angenehme Gute-Nacht-Lektüre.
Rezensiert wurde:
Carbin, Debbie (2008): Alles oder Nick? Übers. Andrea Fischer. Frankfurt (M): Fischer. [Originaltitel: Thanks for nothing, Nick Maxwell. London: Transworld Publishers. 2008]
LESEECKE: ALS DURANTE KAM
rezensiert von PUKI
Die Rezension eines guten Buches verlangt dem Rezensenten so einiges ab – man soll etwas kritisch betrachten, dem gegenüber man Respekt verspürt. Es gibt zwar an Als Durante kam einige Dinge, die mich irritieren, doch sind sie im Verhältnis zum Gesamteindruck verschwindend gering, deshalb möchte ich mich bei der Rezension darauf beschränken, darüber zu reflektieren, was den Roman zu einem „guten“ Buch macht.
Zunächst die Sprache: Sie ist ausdifferenziert und zeugt von einem hervorragenden Handwerk. Ich würde auch sagen, sie ist profiliert – während der Lektüre lernt man die sprachliche Handschrift des Autors kennen und wiederzuerkennen, und zwar aufgrund der wiederholt eingesetzten, gleichen Stilmittel, die aber keineswegs wie sprachliche Armut wirken, sondern Ausdruck des Schreibstil des Autors zu sein scheinen. Beispielsweise lässt De Carlo den Erzähler (Pietro) gerne durch Aufzählungen Gefühle und Wahrnehmungen einkreisen, die aus einer Mischung von Einzelkomponenten bestehen – ähnlich dem komplexen Geschmack einer Gewürzmischung – und befreit sich dadurch von dem Zwang, dem viele Autoren unterliegen und der ihre Schilderungen banal klingen lässt, sich auf einen Aspekt festzulegen. Den Leser wiederum versetzt die Benennung und Aneinanderreihung der Einzelgefühle in die Lage, Pietros innere Haltung bis ins Detail nachzuempfinden bzw. sich der Mischung anzunähern. In meinen Augen wird diese Schreibtechnik in Als Durante kam sehr wirkungsvoll eingesetzt.
Dann die Handlung: Sehr originell und mit zahlreichen überraschenden Wendungen, die man nicht vorausahnen kann.
Und schließlich die Charaktere: einzigartig.
Was mir auch sehr gut gefällt, ist die Offenheit des Ich-Erzählers, mit der er alle seine Gefühle benennt – also auch diejenigen, die ihn als hasserfüllt, eifersüchtig oder neidisch zeigen. Er versucht dabei nicht, die Gunst des Lesers zu erlangen oder sich zu entschuldigen, er beleuchtet einfach die dunkelsten Tiefen seiner Seele und bringt auf diese Weise seine intimsten Gedanken und Gefühle zum Vorschein. Er ist kein Held, aber auch kein Antiheld, sondern irgendetwas dazwischen – ein Mann mit Schwächen und Stärken, erfüllt sowohl von Stolz als auch von Demut.
Anders als in den meisten Ich-Erzähler-Romanen hat man hier nicht den Eindruck, der Autor hätte sich in ihm selbst verewigt – wahrscheinlich ist dies der Fall aufgrund der genannten Erzähltechnik und vor dem Hintergrund der einzigartigen Figurenkonstellation.
Sehr gekonnt wird auch die Verwobenheit der Themen Männerfreundschaft und Liebesbeziehung dargestellt, die sich wie die einzelnen Fäden eines Teppichs ineinander schlingen, bis sie ein Muster ergeben. Da der Protagonist Weber ist, entsteht eine fantastische Parallele zwischen dem Bild der Fäden, aus denen Pietros Arbeiten am Webstuhl entstehen, und den Fäden der Beziehungen, die zuerst lose nebeneinander existieren und sich immer mehr zu einer fest verknoteten Einheit zusammenfügen – an dieser Stelle gebührt dem Autor besonderer Respekt.
Interessant ist auch, wie der Autor unerklärliche Phänomene behandelt: nicht trivial, sondern im Stil des magischen Realismus.
Was die Darstellung der gesellschaftlichen Strukturen, Beziehungen und Abhängigkeiten anbetrifft, so habe ich selten eine so treffende Beschreibung unserer Gesellschaft gelesen. Bei dem zu Beginn des Buches geschilderten Treffen der Nachbarsfamilien habe ich gestaunt und gelacht, weil ich den Eindruck hatte, dass mir endlich jemand aus der Seele spricht – ja, genauso ist es, was komisch und tragisch zugleich ist. Nähe und Distanz der einzelnen Personen, ihr Interesse für die anderen und ihre Ignoranz ihnen gegenüber werden so treffend auf den Punkt gebracht, wie sonst nirgendwo.
Rezensiert wurde:
De Carlo, Andrea (2013): Als Durante kam. Übers. Maja Pflug. Zürich: Diogenes. [2010] [Originaltitel: Durante. Milano: Bompiani, 2008.]
LESEECKE: Carmen
rezensiert von PUKI
Sagenhaft ist das Profil der Carmen! Bösartig, gerissen, unvorhersehbar, anrüchig – wie ein weiblicher Mephisto. Dass Mérimée eine Zigeunerin zur Hauptfigur seiner Novelle macht und dabei in die Welt der Roma eintaucht, ist außergewöhnlich spannend und wäre heutzutage sehr wahrscheinlich aus Gründen der politischen Korrektheit nicht möglich. Zudem positioniert er seine Roma als Krimielle – Schmuggler, Räuber und Verführerinnen – am Rand der Gesellschaft, was ihm heute den Vorwurf des Rassismus und der Diskriminierung einbrächte. Dabei hat man nicht den Eindruck, dass es Mérimées Absicht war, eine Volksgruppe schlecht darzustellen, eher, dass er eine verhängnisvolle Liebesgeschichte abenteuerlich und einzigartig gestalten wollte und sie daher in einer kaum zugänglichen Gesellschaft stattfinden lässt.
Erzählerisch ist die Novelle in zwei Teile gegliedert: Den ersten stellt die Reise eines Archäologen ins Andalusien des Jahres 1830 dar, auf der er einem Unbekannten begegnet, der sich als José Navarro, ein berüchtigter baskischer Räuber, erweist. Mit diesem schließt er, teils aus Berechnung teils aus Neugier und Naivität, Freundschaft und warnt ihn vor der damaligen Polizei, womit er ihm das Leben rettet. Navarro revanchiert sich später, indem er den Archäologen vor der gierigen Carmen rettet, die diesen nicht nur bestohlen hat, sondern ihn vermutlich auch töten lassen wollte. Den zweiten Teil der Novelle stellt Navarros Schilderung seiner Lebensgeschichte dar, die er dem Archäologen im Gefängnis erzählt – Navarro wartet dort auf die Todesstrafe für den Mord an seiner Geliebten Carmen, ein Verbrechen, für das er sich selbst ausgeliefert hatte.
Sprachlich ist das Buch trotz seines Alters recht zugänglich.
Die Besonderheit der Novelle stellt in meinen Augen, neben dem äußerst überzeugenden Charakter von Carmen, die Vielfalt der geschilderten Ereignisse dar, die am Rande der Gesellschaft, in den Kreisen der Roma stattfinden – sie wirken authentisch und sind zugleich sehr spannend erzählt.
Rezensiert wurde:
Mérimée, Prosper (2006): Carmen. Übers. Arthur Schurig. Anaconda: Köln. [Originaltitel: Carmen. Paris: Levý, 1846. Ausschnitte (1845) in: Revue de deux Mondes, Paris.]
LESEECKE: CUKIERNIA POD AMOREM
rezensiert von PUKI
Dieses Buch wird als eine Familiensaga beworben und das ist es auch. Eine umfang- und faktenreiche Erzählung, die im ausgehenden 19. Jahrhundert beginnt und einige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges endet.
Dabei ist die Ankündigung auf dem Buchrücken, es handle sich um die Schicksale polnischer Auswanderer in die USA irreführend – die Reise der schwangeren Marianna Blatko über Ellis Island nach Chicago stellt nur einen sehr kleinen Teil der personenreichen Saga dar.
Die Erzählung selbst ähnelt eher einer Faktenschilderung über einzelne familiäre Verbindungen und historische Fakten als einem Roman. Dabei ist es beachtlich, wie detailliert und abwechslungsreich die Lebensläufe ausgearbeitet sind. Als Leser fragt man sich öfter, ob eine beschriebene Person oder Situation tatsächlich existierte oder rein fiktiv ist. Zu diesem Umstand tragen z.B. die Ahnentafel und die Namensliste im Anhang bei sowie eine Fußnote im Fließtext, in der auf spätere Memoiren einer Hauptfigur verwiesen wird. Da das Buch weder eine Erklärung dazu erhält, dass es sich um reine Fiktion handelt noch einen Verweis darauf, dass bestimmt Personen tatsächlich existierten, ist die Illusion sehr gelungen.
Die Sprache ist passend zum Erzählten: sehr altmodisch, teilweise kompliziert, schön und formvollendet. Die Erzählung hingegen ist leider weniger überzeugend: Es gibt insgesamt zu viele Charaktere, als dass der Leser den Überblick behalten könnte, es werden zu viele Personen direkt hintereinander eingeführt und es gibt zu viele parallele Stränge, deren Zusammenhang man erst in der zweiten Buchhälfte erkennt.
Diese Erzählstruktur, die sich in Form einer mehr oder weniger sachlichen Aufzählung äußert, führt dazu, dass etwa bis zur Hälfte des Buches so gut wie keine Spannung vorhanden ist. Hinzu kommt, dass die den einzelnen Personen gewidmeten Kapitel weit auseinander liegen. Wenn man sich also einen Charakter ausgesucht hat, der einen interessiert, muss man viele Kapitel warten, bis dessen Geschichte wieder aufgegriffen wird, während in der Zwischenzeit komplett neue Personen eingeführt werden. Erst mit der Beziehung zwischen der Protagonistin Gina Weylen alias Grażyna Toroszyn und Wiktor Grabnicki kommt Romantik und Spannung ins Spiel.
Zu den Stärken des Buches gehört die Authentizität der Schilderungen. Ohne zu überprüfen, ob die Darstellungen historisch korrekt sind, kann man als Laie sagen, dass sie in jedem Fall authentisch klingen. Dazu gehören die geschilderte Lebensweise im 19./20. Jahrhundert sowie die gesellschaftspolitische, politische, soziale und kulturelle Situation. Wie die Bauern bzw. Landwirte von ihren „Herrschaften“ abhingen, was die „Herrschaften“ aßen, wie sie von der Politik der Besatzungsmächte abhingen – in der Zeit des geteilten Polens von den Russen und während des Ersten Weltkrieges von den Deutschen. Auch zahlreiche „Kriegsfakten“, die man nicht zum Allgemeinwissen zählen kann, sind interessant, z.B. dass man alles Metallische im Krieg abmontiert hat, u.a. Türklinken, und dass man in der Nachkriegszeit während linker Revolten gegenüber der Partei eine Erlaubnis zum Melken von Kühen einholen musste.
Aber trotz der Vielfalt der Fakten hat das Buch keine Tiefe und möglicherweise liest es sich gerade aufgrund der Faktenmenge an vielen Stellen wie ein erzähltes Sachbuch und nicht wie eine Saga.
Rezensiert wurde:
Gutowska-Adamczyk, Małgorzata (2010): Cukiernia Pod Amorem. Część druga: Cieślakowi. [Übers. d. Rez.: Konditorei unterm Amor. Teil 2: Die Cieślaks.] Warszawa: Wydawnictwo Nasza Księgarnia.
Von PUKI | März 2021
Annie ist Puppensprecherin und ihr Leben verläuft nicht sehr erfolgreich. Sie muss zurück auf die Insel Peregrine Island, wo sie von ihrer Mutter ein Cottage geerbt hat. Auf der Insel trifft sie sofort wieder auf Theo, mit dem sie eine romantisch-düstere Vergangenheit verbindet. Letztendlich kommen sie als Paar zusammen und führen ein glückliches Leben abseits vom Tratsch der Inselbewohner. Naja, wie so oft bei Inselgeschichten, ist auch diese ziemlich kitschig. Interessant ist in der Tat das Setting – Peregrine Island gibt es wirklich und es soll eine sehr unwirsche Gegen sein. Alles andere ist eigentlich literarischer Müll. Ich würde das Buch nicht unbedingt weiterempfehlen.
Phillips, Susan Elizabeth (2015): Cottage gesucht, Held gefunden. Übers. Claudia Geng. München: blanvalet. (Originaltitel: Heroes Are My Weakness. New York: Morrow William.)
Und wieder einmal geht es ums Essen. Lucy und Leith betreiben ein Restaurant, wobei Lucy für die kulinarische Seite verantwortlich ist. Nach einer unerwarteten Trennung steht sie vor einem Neuanfang und kauft kurzerhand ein altes, seit mehreren Jahrzehnten nicht benutztes Restaurant. Das Besondere an der Geschichte ist, dass in diesem Restaurant der Geist seines früheren Kochs, Frankie, fortlebt. Frankie kann den Ort nicht verlassen und ist zunächst nur für Lucy sichtbar. Eine gute Geschichte, bei der spirituelle Komik trefflich eingesetzt wird – z.B. als der frühere Oberkellner Serge unwissentlich genau das macht oder sagt, was ihm sein ehemaliger Chef gerade zuflüstert. Ein schönes Buch, auch wenn man die beigefügten Rezepte als Europäer kulinarisch nicht ganz so ernst nehmen kann – eine französische Zwiebelsuppe oder ein Gazpacho sind hierzulande einfach schon zu stark verbreitet als dass sie für großes Aufsehen sorgen könnten, aber der Stellenwert dieser Rezepte in dem Buch gibt zumindest Aufschluss über die Essgewohnheiten in Sydney.
Barrett, J. D. (2018): Das geheime Rezept für zweite Chancen. Übers. Stefanie Retterbusch. München: blanvalet. (Originaltitel: The Secret Recipe for Second Chances. Sydney: Hachette, 2016.)
Eine Unart manch einer US-amerikanischen Veröffentlichung: Das Buch ist eine unerträgliche Aneinanderreihung detaillierter Beschreibungen von Sexszenen. Der Plot ist an sich irrelevant, die Beziehung zwischen Mel und Blake von uninteressanten Missverständnissen geprägt, die alle letztendlich in heißen Szenen unter der Dusche oder Ähnliches enden. Kein Zauber, kein bisschen literarisches Geschick. Und das Erdbeereis, das immerhin im Titel vorkommt, spielt ebenfalls keine Rolle.
Mataya, Tamara (2018): Das Leben schmeckt nach Erdbeereis. Übers. Lena Fink. München: Heyne. (Originaltitel: Summer Indiscretions. Naperville: Sourcebooks, 2017)
Die Protagonistin heißt Christmas und betreibt ein Geschäft, das sich die Schokoladenapotheke nennt, und zwar in Tasmanien. Prompt spaziert ein gutaussehender junger Mann hinein und die Leser_in weiß sofort, dass die beiden ein Liebespaar werden. Und was geschieht weiter? Die beiden werden ein Liebespaar. Der Rest ist „literarischer“ Tortenguss und Verzierung.
Moon, Josephine (2017): Das Schokoladenversprechen. Übers. Ulrike Laszlo. München: Goldmann.
Von PUKI | März 2021
Dieses Buch kann man vom Genre her zwischen einem historischen Roman, einer Familiensaga und einem Beziehungsroman einstufen. Es ist gut erzählt, es ist gut geschrieben und es ist spannend. Der Plot spielt in England, in einem großen Landhaus, das Anfang des 20. Jahrhunderts ein herrschaftliches Landhaus ist und im Zweiten Weltkrieg zum Lazarett umfunktioniert wird. Für alle, die gern historische Romane lesen, ist dieses Buch, das die Geschicke von drei Freundinnen, die ganz unterschiedliche Lebenswege einschlagen, eine empfehlenswerte Lektüre.
Lennox, Judith (2005): Das Winterhaus. Übers. Mechthild Sandberg. München: Piper. (Originaltitel: The Winter House. London: Corgi Books, 1996.)
LESEECKE: DER STUNDENZÄHLER
rezensiert von PUKI
Ja, das ist ein Buch, dessen Lektüre empfehlenswert ist. Es ist anders und es geht grundlegende Fragen des Lebens auf eine mutige Weise an, die zwischen Esoterik und Science-Fiction angesiedelt werden kann.
Der Hauptprotagonist ist Dor, der erste Mensch, der begonnen hatte, die Zeit abzumessen und der auf Umwegen in die heutige Zeit gerät – als zunächst zeitloser Mann, der die Zeit beinahe anhalten kann, und so in die Leben der beiden in unserer heutigen Zeit lebenden Protagonisten eingreift. Die Zeit ist das Thema, das alle drei Figuren verbindet: Dor, die personifizierte Verkörperung von Zeit, Sarah, eine junge Frau, die die Zeit ihres Lebens verkürzen möchte, und Victor, einen alten Geschäftsmann, der sich ein ewiges Leben wünscht.
Erzählerisch ist der Roman ausgefallen. Er erzählt parallel die Geschichten dreier Menschen, von denen zwei im New York unserer heutigen Zeit leben – genaue Zeitangabe fehlt – und einer im prähistorischen Babylonien – sowohl die genaue Zeit als auch der genaue Ort werden nicht genannt. Das Fehlen der Angaben ist interessant und scheint darauf zu verweisen, dass letztendlich die essentiellen Lebensfragen immer und überall gelten und dass es unerheblich ist, wo und wann genau die Menschen mit der Zeitmessung begonnen haben, wobei es historisch belegt scheint, dass die Stundenzählung tatsächlich im altbabylonischen Reich ihren Anfang genommen hatte, also vor etwa 4.000 Jahren.
Die Systematik und Akribik, mit der Dor die Zeit abmisst, spiegelt sich auch in der Struktur des Buches wider: Der Roman gliedert sich in mehrere Teile, die ihrerseits aus Kapiteln bestehen, wobei jedes Kapitel aus Passagen zusammengesetzt ist, die jeweils mit einer fett hervorgehobenen Überschrift beginnen. Mitch Albom lässt Form und Inhalt Hand in Hand gehen, aber das merkt man erst nach einer Weile – so, wie die Protagonisten erst nach einer Weile merken, was in ihrem Leben zählt.
Neben solchen Feinheiten bietet der Roman auch tiefgründige Reflexionen und Gänsehautmomente.
Dor, der als zeitloser junger Mann in New York ankommt, hat Jahrtausende – als Strafe des Allmächtigen höchstpersönlich – an einem Ort zwischen Himmel und Erde verbracht, an dem er die Stimmen der Menschen hörte, die klagten und beteten. Und so erkennt er Sarah und Victor an ihren Stimmen, die er schon mal gehört hatte, nicht nur wieder, sondern ist auch in der Lage, sich an ihre zurückliegenden Gebete und Wünsche zu erinnern. Es gelingt ihm, ihre Wünsche zu verstehen und ihnen dabei zu helfen, den für sie richtigen Lebensweg einzuschlagen, für den es vermeintlich schon zu spät ist. Die Vergangenheit greift also ins Jetzt ein und prägt die Zukunft – ein überzeugendes Statement, in der Handlung perfekt umgesetzt
Ein tolles Buch und für jeden empfehlenswert, der sich von surrealer Fiktion mitreißen lässt.
Rezensiert wurde:
Albom, Mitch (2013): Der Stundenzähler. Übers. Sibylle Schmidt. München: Goldmann. [Originaltitel: The Time Keeper. New York: Hyperion, 2012.]
LESEECKE: DER ZAUBER DER CASATI
rezensiert von PUKI
Die zweigeteilte Form des Buches wirkt experimentell. Zum einen wird die Geschichte der Erzählerin dargestellt, hinter der sich autobiografische Elemente vermuten lassen, wobei der Bezug zur Autorin ohne weitere Recherche unklar bleibt, aber immer wieder durch Äußerungen der Erzählerin sowie durch den gleichen Vornamen der Erzählerin und der Autorin angedeutet wird. Zum anderen wird die Biografie der Marchesa Casati erzählt, einer Ende des 19. Jahrhunderts geborenen und bis in die 1950er lebenden Frau, die als Tochter eines italienischen Industriellen ein unglaubliches Vermögen geerbt und für Luxusgüter und ein Leben voller Ausschweifungen ausgegeben hat. Ihre Lebensgeschichte wird mit narrativen Elementen angereichert, v.a. mit Kommentaren der Erzählerin dazu, wie sie bei ihrer Recherche an bestimmte Informationen herangekommen ist. Der „Roman“ erhält dadurch die Wirkung einer erzählten Biografie – er ist weder Sachbuch noch Prosa, sondern irgendein Genre dazwischen. In der Folge ist sich der Leser nie sicher, was nun tatsächlich ein Faktum ist und was künstlerische Freiheit.
Sprachlich ist das Buch kein Kunstwerk. Es ist solide geschrieben, wirkt aber eher wie ein freier Vortrag, bei dem die durchaus umfassenden und offenbar akribisch gesammelten Informationen adressatenfreundlich darstellt werden, aber mehr nicht. Unterhaltsam ist es aus meiner Sicht nur aufgrund der Figur, die man nicht unbedingt kennt, und die so perfekt in die heutige Zeit passen würde – Lady Gaga, Paris Hilton und andere Skandal-„VIPs“ und „It-girls“ verblassen angesichts der Exzentrizität der Marchesa Casati wie ein Streichholz vor einem lichterloh brennenden Gebäude.
Rezensiert wurde:
De Peretti, Camille (2014): Der Zauber der Casati. Übers. Hinrich Schmidt-Henkel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. [Originaltitel: La Casati. Paris: Éditions Stock, 2011.]
LESEECKE: DIE ACHSE MEINER WELT
rezensiert von PUKI
Gute Story, nicht schlecht erzählt. Leider lernt man erst zum Schluss den Einfallsreichtum der Autorin zu schätzen. Aber der Reihe nach: Die ersten Kapitel wirken sehr unreif, und zwar sowohl im Hinblick auf die Handlung als auch die Sprache. Es wird ein Grüppchen Jugendlicher mit ihren „Problemen“ wie Rocklänge und Ausschnitttiefe beschrieben, sodass man als Leser den Eindruck hat, eine Teenagerzeitschrift und keinen Erfolgsroman in den Händen zu halten. Der anschließende Unfall, bei dem ein Auto versehentlich in das Restaurant rast, in dem die Jugendlichen sitzen, ist gleichermaßen überraschend wie irritierend, da das Ganze faktisch schwer nachvollziehbar ist: Das Auto scheint, mehr oder weniger wie in einem Actionfilm, durch die Luft geschleudert zu werden. Vermutlich wollte die Autorin im Leser dieselbe Überraschung auslösen, wie sie die Figuren in der Handlung erlebt haben, aber der Effekt ist nicht gelungen.
Die richtige Verwirrung kommt aber noch. In den darauffolgenden Kapiteln werden die anschließenden Jahre der Erzählerin, Rachel, geschildert und zwar zweimal mit je komplett unterschiedlichen Gegebenheiten. Erst zum Schluss löst sich die Situation dahingehend auf, dass die eine Schilderung „nur“ dem entspricht, was Rachel im Komazustand erlebt.
Das Ende ist denkbar traurig: Rachel wird im Alter von 23 Jahren von den Beatmungsgeräten abgeschaltet und der einzige Mensch, der sie dabei begleitet (außer dem medizinischen Personal) ist ihr krebskranker Vater – die Mutter hatte sie als kleines Kind bereits verloren.
Was der Autorin aber gerade zum Ende hin auf eine wunderbare Weise gelingt, ist die Verbindung der beiden Welten, in denen Rachel lebt: einmal die rein körperliche und einmal die rein mentale. Sie fühlt den Händedruck ihres Vaters, doch während in „seiner“ Welt dies an ihrem Sterbebett geschieht, ist es in „ihrer“ Welt bei ihrer Hochzeit, sie hört sogar den letzten Ton der Krankenhausmaschine, die den Stillstand ihres Herzens verkündet, doch in ihrer Welt ist es der Abschlusston des Orgelspiels während ihrer kirchlichen Trauung. Und so endet das Buch auf eine erschütternde, unglaublich emotionale und schlicht herzzerreißende Weise, als sie mit ihrem frisch Vermählten hinaus „ins Licht“ geht.
Man fragt sich dann unweigerlich, ob es wirklich ein trauriges Ende ist. Im Verlauf des Buches erliegt man nämlich dem Wunsch, sich der Vorstellung hinzugeben, dass die schöne, erträumte Welt, die von Anfang an irgendwie illusorisch zu sein scheint, möglicherweise doch die wahre sein könnte. Das Bedürfnis, zu erfahren, dass sich nach dem tragischen Autounfall alles zum Guten wendet, ist so groß, dass man sich irgendwann von der Skepsis, die auch die Erzählerin zu Beginn ihrer Traumwelt begleitet, loslöst. Und so ist die Antwort nicht ganz eindeutig, denn auf der einen Seite ist das Ende einfach nur schrecklich. Eine 23-Jährige stirbt infolge eines schweren Unfalls, den sie einige Jahre zuvor nur um ein Haar überlebt hatte und das nur, weil ihr bester Freund, Jimmy, der in sie verliebt war, ihr das Leben rettete und dabei selber starb. Zudem hatte sie als Kind ihre Mutter verloren und auch ihr Vater ist dem Tode nahe. Viel tragischer kann ein Leben nicht verlaufen, oder? Aber auf der anderen Seite kreiert Rachels Geist eine Welt, in der sie zu dem Mann findet, den sie liebt und der sie liebt, und kann ihn heiraten. Aus ihrer mentalen Perspektive heraus gibt es also ein sehr gutes Ende. Und letztendlich „geht“ sie in einer Situation des inneren, emotionalen Glücks, und das in einer solchen Reinform, wie sie es in der physisch-realen Welt nicht hätte erleben können – schon allein deshalb, weil Jimmy nicht mehr lebt. Das ist die unglaublich mutige und spannende erzählerische Entscheidung der Autorin und eine, die ein äußert überzeugendes Ende hervorbringt, das im Herzen des Lesers wie eine Bombe einschlägt. Mir fällt dazu nur der Begriff „Katharsis“ ein. Hut ab, Dani Atkins.
Was trotz des Lobes dennoch gesagt werden muss, ist eine logische Unstimmigkeit. Als nämlich die Schilderung von Rachels zweitem Leben beginnt, geschieht dies aus ihrer Perspektive. Der Logik der inneren Handlung des Buches folgend erhält Rachel aber kurze Zeit später einen Schlag auf den Kopf und leidet an einer Amnesie, die bis zum Schluss nicht behoben wird. Wie kann es also sein, dass sie die Zeit vor dem Kopfschlag schildern kann? Es ist unmöglich. Die einzige Erklärung wäre, dass sie es quasi aus dem Jenseits tut, aber so weit geht die Erzählhandlung auch wieder nicht, sodass an dieser Stelle ein logischer Erzählfehler vorzuliegen scheint.
Auch problematisch, wenn auch aus anderen Gründen, erscheint mir die Szene am Friedhof, als Rachel hinfällt. Die Art und Weise, wie sie versucht aufzustehen, wie sie nun genau den einen Arm ausstreckt oder hebt, ist überflüssig und stört den Lesefluss. Die Beschreibung klingt, als hätte jemand ein Holzpüppchen vor sich, wie sie im Kunstunterricht verwendet werden, und würde versuchen, die korrekte Anatomie mit sprachlichen Mitteln wiederzugeben – das Ergebnis klingt holprig. Dabei ist es nicht der Sinn der Sache, den Leser davon zu überzeugen, dass eine bestimmte Bewegung möglich war oder nicht, denn er glaubt es einfach, weil er auf die Hintergründe und Folgen gespannt ist. Die Autorin hätte sich hier nicht so viel Mühe machen müssen.
Und zum Schluss noch eine Kleinigkeit: Einen Mann wie Jimmy sollte jede Frau an ihrer Seite haben dürfen.
Rezensiert wurde:
Atkins, Dani (2014): Die Achse meiner Welt. Übers. Birgit Moosmüller. München: Knaur. [Originaltitel: Fractured. London: Head of Zeus, 2009.]
LESEECKE: DIE BESONDERE TRAURIGKEIT VON ZITRONENKUCHEN
rezensiert von PUKI
Die Idee für den Roman ist sehr originell – ein Mädchen nimmt über den Geschmack von Speisen die Gefühle all derer wahr, die an allen Stadien der Zubereitung dieser Speisen beteiligt waren.
Die Grundstimmung der Erzählerin und Protagonistin ist gedrückt, was sich auch auf den Leser überträgt.
Es fängt gut an, interessant, überzeugend, gut recherchiert. Die Geschichte des Speiseeieses ist kein allzu bekanntes Thema. Oder wussten Sie, dass es noch vor 150 Jahren eine ganze Berufsbranche gab, die sich mit dem Abschaben und Transport von Eis, d.h. von gefrorenem Wasser, aus den Bergen beschäftigte? Oder dass ein amerikanischer Geschäftsmann namens Frederic Tudor im 19. Jahrhundert ein Vermögen damit machte, dass er auf Schiffen von den USA aus Eis nach Indien, Brasilien, Australien und China transportierte? Diese großen Zusammenhänge münden erzählerisch in der Geschichte einer einzelnen Familie, in der der Sohn, Giuseppe Talamini, den Schneid hat, zum ersten Eismacher der Gegend zu werden – einem damals völlig unbekannten Beruf. Und hier endet auch der interessante Teil des Buches, denn die nachfolgende Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen gelingt dem Autor nicht sehr eindrucksvoll.
Kwast, van der, Ernest (2018): Die Eismacher. Übers. Andreas Ecke. München: btp.
LESEECKE: DIE FRAU VON DREIßIG JAHREN
rezensiert von PUKI
Mit der Lektüre des Buches begibt man sich auf eine Reise – sowohl sprachlich als auch gesellschaftlich, und zwar ins Frankreich des 19. Jahrhunderts. Die Frau von dreißig Jahren beschreibt das Leben einer wohlhabenden Frau aus gutem Hause, Julie, von ihrer Liebesheirat an mit ihrem Vetter, dem Marquis Victor d‘Aiglemont, einem Offizier Napoleons und späteren General, bis zu ihrem Tod.
Der Roman ist in mehrere Kapitel gegliedert, die Julies wichtigste Lebensabschnitte beschreiben und quasi geschlossene Erzählungen darstellen. In den einzelnen Abschnitten lernt man eine jeweils andere Julie kennen – die von Kapitel zu Kapitel teilweise sehr markanten Veränderungen ihrer Gefühlswelt und Lebensweise scheinen in den Geschehnissen ihres Lebens begründet zu sein, sind aber nicht immer eindeutig belegbar. Es scheint, dass Balzac auf diese Weise versucht, Julies innerste Empfindungen erzähltechnisch nicht komplett aufzudecken. Diese Erzähltechnik bewirkt, dass bestimmte Ereignisse in Julies Leben ihre Lebensgeheimnisse bleiben.
So fragt man sich z.B., ob Julie mit ihrem Freund Charles de Vandenesee etwas Körperliches verbindet und vielleicht sogar ihr kleiner Sohn Charles das Ergebnis dieser Verbindung ist. Wenn ja, wie steht Julies Ehemann zu dieser Situation? Und wie passt ein solcher Ehebruch zu Julies strengem Befolgen der gesellschaftlichen Normen? Hängt es mit einer Rückbesinnung auf die guten Sitten zusammen, nach einem moralischen Ausrutscher, dass de Vandenesee in den späteren Abschnitten ihres Lebens bzw. in den dazugehörigen Kapiteln nur am Rande auftaucht – so, als hätte es ihn in Julies Leben nie gegeben und schon gar nicht in der Rolle eines Geliebten? Ist vielleicht auch Julies jüngste Tochter, Moina, ein gemeinsames Kind von Julie und Charles? Dies wird zumindest teilweise durch Helene, Julies älteste Tochter, auf deren Totenbett angedeutet und würde erklären, warum Julie gerade dieses Kind so heiß und innig liebt. Auch bleibt ungeklärt, in welchem emotionalen Verhältnis Julie zu ihrem Ehemann steht, nachdem de Vandenesee kaum noch erwähnt wird – einerseits spricht die Familienidylle der Weihnachtszene für eine wiederhergestellte Harmonie zwischen den Eheleuten, andererseits zeugt keine von Julies Handlungen von Liebe zu ihrem Mann.
Manche Ereignisse in Die Frau von dreißig Jahren sind nahezu fantastisch und klingen so unglaubwürdig, dass man sie rein symbolisch zu verstehen versucht, wie z.B. die Ermordung von Julies kleinem Sohn Charles durch ihre Erstgeborene, die als Kind des rechtmäßigen Ehemannes von ihrer Mutter nicht geliebt wird und die auf den kleinen, geliebten Jungen eifersüchtig ist. Der Tod des Jungen wird im weiteren Verlauf der Erzählung – wie einige andere Themen auch – nicht mehr thematisiert, scheint aber unterschwellig die Beziehung zwischen Julie und ihrer Tochter Helene zu beeinflussen.
Zu solchen fantastischen Elementen gehört auch die Erscheinung Viktors, eines flüchtigen Mörders, der im Hause der Familie von Aiglemont für kurze Zeit untertaucht. Die Passage wirkt erzählerisch nicht ausgereift, die Sprache des Unbekannten und seine Äußerungen passen stilistisch nicht zum Rest des Buches.
Der anschließende Fortgang der inzwischen beinahe erwachsenen Helene mit dem Verbrecher scheint, wie etliche Kapitel zuvor ihr Mord an dem kleinen Charles, rein symbolisch zu sein, gehört aber faktisch zum weiteren Verlauf der Geschichte und löst seltsame, schwülstig-pathetische Dialoge zwischen Vater und Tochter aus.
Dass Viktor sich später als Pirat und berüchtigter Seeräuber erweist, mit dem Helene ein luxuriöses Leben auf See führt, wirkt wie ein literarischer Abstecher in das Genre eines Abenteuerromans. Dieser Teil des Buches verschmilzt nicht homogen mit dem Rest des Romans.
Sprachlich ist Die Frau von dreißig Jahren an manchen Stellen eine Herausforderung – das Französisch des 19. Jahrhunderts in seiner deutschen Übersetzung aus den 1970er Jahren ist von sehr langen Schachtelsätzen und archaischem Vokabular geprägt. Viele Passagen muss man mehrmals lesen, bis man die ihnen zugrunde gelegte Aussage versteht. Um ein Beispiel zu nennen, bedeutet „übersehen“ nicht etwa „nicht beachten“, „nicht sehen“, sondern so viel wie „durchschauen“, „einen Durchblick haben“. Erschwerend kommt hinzu, dass zu manchen Themen, z.B. sexuellen, gar keine direkten Äußerungen, sondern nur Andeutungen erfolgen, die für den ursprünglichen Leser mit Sicherheit eindeutig waren, aber 150 Jahre später zu interpretativen Mehrfachlösungen führen.
Sehr langatmig sind Balzacs Naturbeschreibungen. Sie dienen selten einer Widerspiegelung des Geschehens, sondern rein ästhetischen Zwecken.
Ebenfalls langatmig und repetitiv sind die Ansichten des Erzählers über Frauen generell und im Einzelnen über diejenigen im Alter von dreißig Jahren – sie seien aufgrund ihrer Lebenserfahrung jüngeren Frauen weit Voraus und gegenüber älteren zeichneten sie sich durch mehr Lebensfrische, Jugend, Anmut, Reiz und Schönheit aus, kurzum: Sie stünden in der Blüte ihres Lebens.
Für den heutigen Leser sind insbesondere Julies Betrachtungen ihres Ehelebens interessant, was sie hinnimmt und wogegen sie sich sträubt, v.a. wenn man diese Ansichten mit den Ansprüchen, Erwartungen und Pflichten einer Ehefrau des 21. Jahrhunderts vergleicht.
Rezensiert wurde:
Balzac, Honoré de (1981): Die Frau von dreißig Jahren. Übers. Erich Noether. Zürich: Diogenes. [1977]. (Lizenzausgabe des Rowohlt Verlages, Reinbek bei Hamburg.) [Originaltitel: La Femme de trente ans. Paris: Furner, 1842.]
Shorts: Die Frau von Sharewater Island
Februar 2020
von PUKI
Eines von den derzeit sehr vielen Büchern aus England, deren Plot auf einer Insel spielt. Gut gelungen in diesem Buch ist weniger der literarische Anteil als vielmehr der psychologische: Die Autorin stellt absolut überzeugend und sehr interessant den Mikrokosmos einer Kleinstgemeinde dar - auf Sharewater Island - und deren komplexe Beziehungsstrukturen. Nicht schlecht.
Robathan, Magali (2015): Die Frau von Sharewater Island. Übers. Maja Ueberle-Pfaff. Berlin: List. [Originaltitel: The Reluctant Islander. London: Chivers, 2013.]
LESEECKE: DIE KAMELIENDAME
rezensiert von PUKI
Zu diesem Roman gibt es so viel zu sagen und gleichzeitig so viele offene Fragen. Allen voran: Gab es eine Marguerite Gautier wirklich?
Der Erzähler lässt einen immer wieder in der Zuversicht, er erzähle eine wahre Geschichte – sowohl am Anfang der Erzählung als auch am Schluss sowie mittendrin. Ob das eine erzählerische Strategie ist, wie sie sehr oft in der Literatur angewendet wurde, man denke bspw. an diejenigen unter den Sklavenerzählungen, die als teilweise oder gänzlich fiktiv eingeschätzt werden, wie im Fall von Hannah Crafts‘ Roman Fugitive Slave from North Carolina, oder ein Beleg für die Authentizität der beschriebenen Gegebenheiten, kann man ohne eine vertiefte Recherche nicht sicher sagen. Vermutlich gab es aber tatsächlich ein historisches Vorbild für Marguerite Gautier und zwar das Landmädchen Alphonsine Rose Plessis, die im Paris des frühen 19. Jahrhunderts zur Kurtisane Marie Duplessis wurde und später durch Heirat zur Gräfin von Perrégaux.
Die Erzählstruktur der Kameliendame ist komplex, denn es gibt eine Rückblende in einer Rückblende. So berichtet der Erzähler dem Leser einerseits von seinen eigenen, vorwiegend indirekten, Begegnungen mit Marguerite Gautier, bspw. im Rahmen einer Versteigerung ihrer Besitztümer nach ihrem Tod, andererseits gibt er den Bericht von Armand Duval, einem Geliebten von Marguerite, an den Leser weiter. Auch hier stellt sich die Frage, ob Duval ein historisches Vorbild hatte. War es möglicherweise Dumas selbst, der ein Verhältnis mit Duplessis hatte? Wenn man das „r“ in Armand auslässt, wird daraus Amand – „amandus“ bedeutet auf Latein „der zu Liebende“, also so viel wie „der Geliebte“; Duval wiederum liegt phonetisch nahe an Dumas…
Unabhängig von möglichen Entsprechungen zwischen realen und fiktiven Personen gelingt Dumas mit der Figur der Marguerite Gautier etwas Fantastisches: Er kreiert eine, nennen wir sie, „heilige Nutte“. Es ist dabei faszinierend, wie Dumas der Spagat zwischen Prostitution und emotionaler Reinheit gelingt. Marguerite Gautier ist beides – sowohl Kurtisane als auch eine Art Heilige in ihrer reinen Liebe zu ihrem Geliebten Armand. Vermutlich ist es kein Zufall, dass im Verlauf des Buches auf die St. Margareten Inseln angespielt wird, auf die laut Duval zu einem früheren Zeitpunkt Kurtisanen verschickt wurden. Ungeachtet der Frage einer historisch-faktischen Korrektheit in Bezug auf die Ausweisung von Prostituierten auf die St. Margareten Inseln, ist die Parallele bei der Namensgebung unverkennbar: St. Margareten Inseln und Marguerite Gautier. Und das Handeln Marguerite Gautiers ist von einer Liebe geprägt, die tatsächlich einer Heiligen würdig wäre.
In diesem Kontext ist auch Dumas‘ Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben im Rahmen von Reflexionen über Marguerites Leben sehr interessant – er macht sich Gedanken, die heutzutage einen Autor kaum interessieren dürften. Vielleicht möchte Dumas auf diese Weise Duplessis‘ Ehre in den Augen des damaligen Publikums, das sie gekannt haben muss, wiederherstellen, vielleicht möchte er sogar – falls er tatsächlich einer ihrer Liebhaber gewesen war – seinen eigenen Ruf retten, vielleicht reflektiert er aber ganz uneigennützig den Werdegang einer „ausgehaltenen“ Frau, wie Prostituierte damals bezeichnet wurden. Auch hierzu gibt es interessante Hintergründe, die v.a. dem heutigen Leser Einblick in ein Leben gewähren, das es so nicht mehr gibt. Eine Kurtisane, zumindest Gautier, war nicht zu vergleichen mit einer heutigen „Straßenprostituierten“ oder einem „Call Girl“. Sie hatte etwa drei bis vier Liebhaber zugleich, die ihr monatlich Geld zahlten, von dem sie ein luxuriöses Leben führte. Sie hat aber auch reihenweise Männer zurückgewiesen und manche versuchten Jahre lang, um sie anzuhalten.
Die Art und Weise, wie ihre reine Liebe zu Duval ausgenutzt wird, um der Beziehung ein Ende zu setzen, wirkt wie eine Vorlage für zahlreich Filme, bei denen ein Liebespartner durch einen nahen Verwandten des anderen Liebespartners dazu bewegt wird, seinen Geliebten unter irgendeinem realistischen Vorwand aufzugeben, und anschließend an der Trennung zerbricht. Der an Schwindsucht erkrankten Marguerite bricht die Trennung letztendlich das Herz und sie stirbt einen qualvollen, einsamen Tod.
Und tatsächlich soll die Kameliendame beispielsweise Vorlage für Verdis Violetta Valery in der La travaiata gewesen sein.
Sprachlich ist der Roman für den heutigen Leser zu Beginn gewöhnungsbedürftig wegen der langen, komplizierten Sätze; nach etwa der Hälfte des Buches gewöhnt man sich an den Stil, außerdem sind die Sprachstrukturen stellenweise gut zugänglich. In diesem Zusammenhang kann man die Kameliendame wie ein Handbuch für die Pariser Sprachetikette des 19. Jahrhunderts ansehen.
Rezensiert wurde:
Dumas, Alexandre d. J. (2004): Die Kameliendame. Übers. Walter Hoyer. Frankfurt (M): Insel Verlag. [Originaltitel: La dame aux camélias. Paris: Alexandre Cadot, 1848.]
Weiterführende Links:
http://www.deutschlandfunk.de/verdi-ohne-praezision-und-kontext.700.de.html?dram:article_id=247174
Von PUKI | März 2021
Dieses Buch ist eine schöne Gute-Nacht-Lektüre. Polly möchte ihr Leben neu sortieren und zieht um, in ein winziges Dorf am Meer. Da sie wenig Geld hat, mietet sie ein heruntergekommenes Haus. Obwohl der Neuanfang für sie nicht einfach ist, macht sie bald Karriere als Bäckerin und bringt zudem Leben ins verschlafene Fischerdorf. Sprachlich nicht sehr aufregend, aber inhaltlich ganz angenehm.
Colgan, Jenny (2018): Die kleine Bäckerei am Strandweg. Übers. Sonja Hagemann. München: Piper. (Originaltitel: The Little Beach Street Backery. London: Sphere Books, 2014.)
Von PUKI | März 2021
Das erste Buch, das ich lese, das weitgehen in der Antarktis spielt. Ein Forscherteam, das Pinguine untersucht, verbringt mehrere Monate am Südpol, wobei es regelmäßig auch Touristen an Bord hat, womit sich ihre Exkursionen finanzieren. So lernen sich Deborah, eine Wissenschaftlerin, und Keller, ein Abenteurer, kennen. Eine komplizierte Beziehung beginnt, in einem ungewöhnlichen Setting, mit einem interessanten Ausgang. Kein bilderbuchartiges Happy End, aber keine Tragödie, keine leichte Kost, aber durchaus lesenswert.
Raymond, Midge (2018): Die Liebenden vom Ende der Welt. Übers. Astrid Finke. München: btb. (Originaltitel: My Last Continent. New York: Simon & Schuster.)
Shorts: Die Perlenfrauen
Februar 2020
von PUKI
Das Beste an diesem Roman ist die Darstellung der Perlentaucherinnen auf Ise-Shima im Jahr 1927. Ob sich aber allein deshalb die Lektüre des Buches lohnt, bin ich mir nicht ganz sicher.
Agnew, Katie (2017): Die Perlenfrauen. Übers. Jens Plassmann. München: Heyne. [Originaltitel: The Inheritance. Orion, 2016.]
Dieses Buch bietet so ziemlich alles, was man sich als Leser_in wünscht: fantastisch durchdachte zwischenmenschliche Beziehungen, vollkommen authentische, historische Einblicke in eine fremde Kultur, geheimnisvolle Wendungen, Spannung und Emotionen, eine schöne Sprache und gute Erzählstruktur.
Beim Lesen wird man ins Barcelona der Nachkriegsjahre versetzt, mit Abstechern in das frühe 20. Jahrhundert. Die gesellschaftlichen Strukturen erlebt man hautnah mit, die Ungerechtigkeiten, Leidenschaften und Tragödien. Die Ruinen einer alten Dynastie sind Schauplatz zahlreicher Intrigen, die man nur mit den Worten zusammenfassen kann: Vielen Dank für das unglaubliche Epos! Aus meinem eigenen Buchregal gebe ich das Buch nicht mehr weg.
Zafón, Carlos Ruiz (2003): Die Schatten des Windes. Übers. Peter Schwaar. Frankfurt (M): Suhrkamp. (Originaltitel: La sombra del viento. Barcelona: Editorial Planeta, 2001.)
LESEECKE: DIE TÖCHTER DER FAMILIE FARADAY
rezensiert von PUKI
Der Roman wird als Familiensaga bezeichnet – dazu ist er meiner Meinung nach nicht gehaltvoll genug. Es wird zwar eine Großfamilie beschrieben (Vater, Töchter und Enkelin) und das Geschehen findet an zwei Zeitpunkten statt, die 25 Jahre auseinander liegen, aber für eine „Saga“ ist der Zeitrahmen in meinen Augen zu kurz gewählt. Hinzu kommt, dass eine Schilderung der Änderung der äußeren Umstände über diesen Zeitraum hinweg praktisch nicht vorhanden ist, sodass der Eindruck entsteht, alles bis auf das Alter der Personen sei unverändert.
Die Charaktere selbst sind prototypenhaft und daher wenig realitätsnah. Den fünf Töchtern wird je eine Hauptcharaktereigenschaft zugeschrieben und das ganze Buch über wiederholt und unverändert, teilweise im gleichen Wortlaut, aufgegriffen. Die fehlende Komplexität der einzelnen Charaktere wird durch ihre kaum vorhandene innere Entwicklung im dargestellten Zeitraum begleitet, was sie auch auf lange Sicht fade, oder zumindest unausgereift, wirken lässt. Es scheint, als hätte die Autorin die Züge einer einzelnen Persönlichkeit auf fünf Einzelpersonen aufgeteilt – dadurch kommen sehr klare und gut nachvollziehbare Charakterstrukturen zustande, aber gleichzeitig solche, die sehr vorhersehbar sind und deshalb, aus meiner Sicht, langweilig.
Inhaltlich scheint das Buch keinen Anspruch auf philosophische Tiefe zu erheben und zu Reflexionen anregen zu wollen – es enthält keine tiefgründigen Beobachtungen. Auch gibt es kaum Stellen, die den Leser durch Mehrdeutigkeit zum Grübeln bringen würden oder ihm einen Interpretationsspielraum ließen; die wenigen offenen Aspekte, die als Geheimnisse im Buch fungieren, z.B. die Frage nach der Vaterschaft einer der Töchter, werden relativ schnell aufgelöst, wodurch auch die mit dieser Unklarheit einhergehende Spannung wegfällt.
Sprachlich fällt auf, dass das Thema Sexualität in einer sehr „jugendfreien“ Form behandelt wird. Ob dahinter eine freiwillige Zensur seitens der Autorin steckt oder eine weniger freiwillige seitens des Verlages, sei dahingestellt, jedenfalls wirkt die Beschreibung körperlicher Annäherung zwischen zwei Erwachsenen an vielen Stellen wie das Tagebuch einer Klosterschülerin, z.B.: „(…) Dann küsste er sie lange, bis ein Lastwagenfahrer hupend an ihnen vorbeifuhr. Sie hatten nicht schnell genug zu ihrer Hütte kommen können. Er wurde neben ihr wach (…)“ (167). Offenbar kann das Küssen und nebeneinander Wachwerden genannt werden, aber alles, was dazwischen passiert, muss erzählerisch übersprungen werden.
Was dem Leser trotz allem bei Laune hält, ist, denke ich, der häufige Perspektivenwechsel. Durch die Vielzahl an Charakteren, aus deren Blickwinkeln die einzelnen Abschnitte erzählt werden, bietet das Buch etwas Abwechslung und letztendlich auch einen gewissen Lesespaß.
Rezensiert wurde:
McInerney, Monica (82009): Die Töchter der Familie Faraday. Übers. Astrid Mania. München: Goldmann. [Originaltitel: The Faraday Girls. USA: Ballantine Books, 2007.]
LESEECKE: DIE WAHRHEIT ÜBER LORIN JONES
rezensiert von PUKI
Der Beginn des Buches ist schwer zu lesen und nicht einfach zu verstehen – lange und komplizierte Sätze, Inhalte, die nicht auf Anhieb verständlich sind, nicht richtig sympathische Charaktere, wenig Spannung.
Doch mit der Zeit wird klarer, worum es geht und man kann sich in die Story besser vertiefen: Die Protagonistin, Polly, möchte eine Biografie über Lorin Jones, eine US-amerikanisch/jüdische Malerin der 1960er Jahre, schreiben. Um dieses berufliche Vorhaben zu realisieren, interviewt sie Angehörige der Künstlerin und ihre ehemaligen Geschäftspartner aus der New Yorker Kunstszene.
Ihr Projekt ist realitätsnah geschildert – eingebettet in zahlreiche private Probleme und existenzielle Sorgen. Ein Leitthema ist dabei Pollys Beziehung zu Männern – ihrem eigenen Vater, ihrem Ex-Mann, ihrem Sohn, ihren männlichen Interviewpartnern und ihrem Liebhaber –, denen sie als emanzipiere Frau begegnen möchte und doch immer wieder intuitiv, impulsiv und fürsorglich agiert. Die Suche nach der Wahrheit über die Persönlichkeit der Malerin resultiert daher in einer Suche nach ihrem eigenen, erwachsenen Ich mit seinen erwachsenen und nicht immer widerspruchsfreien Sehnsüchten. Das Thema Sexualität spielt in diesem Zusammenhang eine tragende Rolle, und zwar sowohl in seiner hetero-, homo- und bi-Variante. (Möglicherweise erhielt das Buch deshalb eine entsprechende Auszeichnung).
Die Hauptstärke des Romans sehe ich in der sehr gelungenen Überlappung zwischen dem Erzählstil und dem inhaltlichen Leitmotiv der abstrakten Malerei: Beim Lesen des Romans weiß man zunächst nicht, worum es geht, dann werden Ausschnitte aus dem Leben der Künstlerin spotlight-artig beleuchtet und man erhält nach und nach einen Eindruck von der Persönlichkeit und dem Lebensstil der Malerin. So ähnlich eben, wie wenn man ein abstraktes Gemälde zunächst verständnislos anschaut, dann einzelne Elemente näher betrachtet, sich mit ihnen auseinandersetzt und schließlich ein paar Schritte zurücktritt, um das Werk noch einmal in seiner Gänze anzusehen, und erst dann in ihm „Kunst“ erkennt. In Die Wahrheit über Lorin Jones haben die Interviews die Funktion dieses Unter-die-Lupe-Nehmens der einzelnen Charakterzüge der Malerin. Sie sind auch sprachlich interessant umgesetzt – in Form von Antworten auf nicht gestellte Fragen; diese muss der Leser selbst konstruieren. Auf diese Weise entsteht eine Parallele zwischen dem Leser und der das Interview führenden Protagonistin, die sich das ganze Buch über darum bemüht, aus den Erinnerungen einzelner Individuen eine objektive Wahrheit richtig zu „konstruieren“.
Das Motiv der Erzählerin, die die Biografie einer berühmten Frau schreibt und sich teilweise so in die Figur hineinsteigert, dass sie die Verstorbene zu sehen meint, scheint ein sich in der Literatur wiederholendes Motiv zu sein. Eine ähnliche Erzählsituation, und sogar das Motiv des Geistersehens, liegt bspw. in Der Zauber der Casati vor – vielleicht wurde die Autorin von Alison Lurie inspiriert.
Der Schluss des Romans ist leider etwas enttäuschend: offen und angedeutet, und zwar sowohl in Bezug auf Pollys Privatleben als auch ihr berufliches Vorhaben. Im Hinblick auf die erzählerische Fähigkeit der Autorin, die sich in den Reflexionen und Argumentationen der Erzählerin manifestiert, wirkt dies abrupt, unvollendet und kraftlos.
Rezensiert wurde:
Lurie, Alison (1992): Die Wahrheit über Lorin Jones. Übers. Otto Bayer. Zürich: Diogenes. [1990] [Originaltitel: The Truth About Lorin Jones. London: Michael Joseph Ltd., 1988.]
LESEECKE – Die Wellington Saga
rezensiert von PUKI
So etwas kommt heraus, wenn man ein Modell mit Hang zum Pferdesport ein Buch veröffentlichen lässt – ein literarisches Desaster.
Blanvalet beweist leider erneut, dass es bei seiner Manuskriptwahl auf Oberflächlichkeiten setzt und nicht auf schriftstellerisches Talent. Dies merkt man jedoch nicht auf Anhieb, denn das Buch ist ansprechend herausgegeben und trägt den vielversprechenden Titel einer Saga. Dass es sich bei dem Roman um keine Saga im Sinne einer mehrere Generationen umspannenden Familiengeschichte handelt, sondern um eine Liebegeschichte auf einer luxuriösen Pferderanch, ist für die Leser_in enttäuschend.
Hinzu kommt, dass die sprachliche Umsetzung an Banalität kaum zu überbieten ist. Das Einzige, was von authentischer Fachkompetenz zeugt, sind die Ausführungen über Pferde. Doch scheint der Autor einen Roman mit einer Berichterstattung zu verwechseln, wenn er ein Polo-Spiel im Detail beschreibt. Ähnliches gilt für die Liebesszenen – verfasst wie eine Bedienungsanleitung entbehren sie jeglichen Zaubers.
Überraschend ist auch, dass das Buch von einem Autorenduo verfasst wurde – Figueras liefert offenbar die Story und den Namen, während Whitman für die Ergänzung der sprachlichen Seite verantwortlich ist. Mehr geht leider aus dem Klappentext nicht hervor, der Figueras in aller Ausführlichkeit als einen der berühmtesten Männer der Welt anpreist, während Jessica Whitman gerade mal 10 Wörter gewidmet sind.
Dieses Buch können Sie getrost im Regal stehen lassen.
Rezensiert wurde:
Figueras, Nachos und Jessica Whitman (2016): Die Wellington Saga: Verlangen. Übers. Veronika Dünninger. München: blanvalet. (Originaltitel: Ride Free. New York City: Forever.)
Erzählerisch interessant aufgebaut, sprachlich in Ordnung, von der Story her überraschend.
Das Buch teilt sich in drei Teile ein, die je aus der Perspektive eines anderen Beteiligten erzählt werden: der jungen Polin Marlena, dem niederländischen Bauern Andries und dem polnischen Juden Szymon.
Marlena, ein Mädchen vom Land, trifft in den 90er Jahren einen jungen Amerikaner, der nach Warschau reist, um seine Wurzeln kennenzulernen. Sie wird schwanger von ihm, doch aufgrund eines Missverständnisses – oder des Schicksals – trennen sich ihre Wege. In ihrer Verzweiflung nimmt Marlena das Angebot einer Partnervermittlungsagentur an und fährt in die Niederlande, um dort einen verwitweten Bauern auf Brautsuche zu heiraten. Marlenas Kind wächst als Sohn des Bauern auf und fühlt sich in den Niederlanden wohl. Nach etwa zehn Jahren fährt Marlena nach Polen, zusammen mit ihrem Sohn, und lässt Andries zurück. Der Junge findet sich in Polen nicht gut zurecht, aber seine Mutter will nicht zurück. Marlenas früherer Chef, Szymon, und gleichzeitig Onkel des Amerikaners, den sie immer noch liebt, bietet ihr Arbeit und Unterkunft in seinem Hotelrestaurant. Der einsame Mann hegt Gefühle für Marlena, die ihre Lage nicht einfacher machen. Da kommt schließlich Andries nach Polen, um Marlena und den Sohn abzuholen.
Interessante interkulturelle Verwicklungen, authentisch erzählte Kulturwelten, der Grundton ein wenig deprimierend. Dennoch ein gutes Buch, auf jeden Fall lesenswert.
Vetkemans, Lot (2017): Ein Brautkleid aus Warschau. Übers. Eva M. Pieper und Alexandra Schmiedebach. München: btb. (Originaltitel: Een bruidsjurk uit Warschau. Amsterdam: Cossee 2012.)
LESEECKE: EIN GANZ NEUES LEBEN
rezensiert von PUKI
In Ein ganz neues Leben wird die Geschichte einer jungen Frau, Louisa, erzählt, die ihren Freund verloren hatte. Dabei handelt es sich bei diesem Buch um den Fortsetzungsroman eines internationalen „Bestsellers“. Die zugehörige Geschichte aus dem ersten Teil kann so zusammengefasst werden: Louisas Freund war Tetraplegiker, d.h. an allen vier Gliedmaßen gelähmt, und zunächst ihr Arbeitgeber. Er war mit seinem Leben so unglücklich, dass er es im Rahmen der Euthanasie beendet hatte – Louisa hatte ihn bis zum Schluss begleitet. In dem Fortsetzungsroman Ein ganz neues Leben versucht sie, über den Verlust ihres Geliebten hinwegzukommen, erleidet einen beinahe tödlichen Unfall und lernt dabei einen Mann kennen, in den sie sich verliebt. Sie versucht nun, ein neues Leben zu beginnen.
Leider erhält ein Leser, der den ersten Teil nicht kennt, die zugehörigen Kerninformationen nicht gleich am Anfang des Fortsetzungsromans. Vielmehr wird zunächst ein Geheimnis daraus gemacht, was vorgefallen war, immer wieder angedeutet, dass die Protagonistin in etwas Schlimmes involviert war und auf ihren gesellschaftlichen Ausschluss aus ihrem Geburtsstädtchen hingewiesen. Doch ohne die Informationen aus dem ersten Teil versucht der Leser vergeblich, das Verhalten der Figuren zu interpretieren und prallt dabei immer wieder an nichts sagenden Floskeln wie an einer unsichtbaren Mauer ab. Hier ein Beispiel: „Meine Mutter, die immer noch entsetzt von dem war, was ich getan hatte, erklärte mir, dass sie mich immer noch liebte, aber diese Louisa nicht mit der Tochter in Einklang bringen konnte, die sie großgezogen hatte, und so hatte ich zusammen mit dem Mann, den ich liebte, auch meine Familie und damit jede Verbindung zu dem Menschen verloren, der ich gewesen war.“ (S.39) Was genau passiert ist, erfährt der Leser nicht – weder, was Louisa gemacht hatte und warum ihre Mutter über ihr Verhalten entsetzt ist, noch, wie sie ihren Geliebten verloren hatte, ja nicht einmal, ob es ein Verlust im Sinne von Tod oder Trennung war. Es wird nur vage vermittelt, dass etwas Ungeheuerliches vorgefallen sein muss. Als man schließlich das Interesse daran verliert, die Fakten zu erfahren, und es lächerlich findet, so lange hingehalten zu werden, wird das Geheimnis aufgelöst und man fragt sich unweigerlich, warum es so lange gedauert hat und warum die Charaktere in der aktuellen Erzählsituation mit den Geschehnissen immer noch so umgehen, als wären sie gerade erst vorgefallen, dabei liegen sie bereits eineinhalb Jahre zurück.
Die Story an sich ist gut, filmreif möglicherweise. Die Sprache allerdings – wie so oft bei „Bestsellern“ – unspektakulär. Auch die Erzählstruktur birgt keine Raffinessen mit sich. Aber offenbar reicht eine dramatische Handlung für enormen internationalen Erfolg.
Was mir bei dem Roman auffällt, ist, dass es eine weitere Story aus England ist, bei der ein (potentieller) Liebespartner ums Leben kommt, wie z.B. in Die Achse meiner Welt.
Diese Art, eine Beziehung aufzulösen – so tragisch die Umstände für die fiktiven Beteiligten auch sein mögen –, wirft bei mir die Frage auf, warum es notwendig ist, jemanden umzubringen, um eine dramatische Wendung in einer Liebesbeziehung zu erzielen. Da es in einem solchen Fall keine Steigerung mehr gibt – man kann einen Menschen nicht „mehr“ verlieren als durch den Tod –, muss der Leser mitfühlen, schockiert sein und empathisch reagieren. Er hat quasi keine andere Wahl. Die Autorin wiederum hat keine Möglichkeit der emotionalen Abstufung der Tragödie, denn tot ist tot.
Ich finde, diese Tendenz, große Gefühle über Todes-Dramen darzustellen, geht als Strategie nicht auf. Um es mit einer anderen Kunst zu vergleichen: Mit Pauken und Trommeln wird man selten eine solche Gefühlslage hervorrufen wie mit einem leisen Streichertremolo. Und daher denke ich, dass es eine große schriftstellerische Leistung wäre, große Gefühle über ein Drama hervorzurufen, in dem niemand stirbt, anstatt auf Pauken und Trommeln zu setzen.
Dennoch: Auch dieses Buch liest sich, abgesehen vom Anfang, in dem man nur schwer Zugang zu den Geschehnissen aus dem ersten Teil findet, ganz gut.
Im Hinblick auf die in Romanen und Filmen seltene Auseinandersetzung mit der Tetraplegie fällt mir eine thematische und teilweise, v.a. hinsichtlich der Charaktere der Figuren, Ähnlichkeit mit dem Film Cartagena auf – auch wenn die Konstellation dort eine genau umgekehrte ist, mit einer gelähmten Frau, die sich in ihren Pfleger verliebt, und das Ende nicht so tragisch ausfällt.
Rezensiert wurde:
Mojes, Jojo (2015): Ein ganz neues Leben. Übers. Karolina Fell. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. [Originaltitel: After you. London: Penguin, 2015.]
LESEECKE: EIN SÜßES STÜCK VOM GLÜCK
rezensiert von PUKI
Ein Liebesroman, der in Paris spielt. Sprachlich gekonnt umgesetzt, wobei die zahlreichen Ausdrücke und ganze Sätze auf Französisch zwar Lokalkolorit schaffen, aber für Leser ohne entsprechende Sprachkenntnisse teilweise unverständlich bleiben – eine Übersetzung, z.B. im Anhang, wird leider nicht angeboten.
Erzähltechnisch ist das Buch simpel aufgebaut: Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt, jeweils in der dritten Person; das reicht aber aus, um die Entwicklung zwischen den Liebenden spannend darzustellen.
Die Autorin schreckt auch nicht davor zurück, Liebesszenen relativ explizit zu beschreiben, was in diesem Genre eher selten vorkommt, sodass diese überraschend abwechslungsreich gegenüber vergleichbaren Büchern wirken.
Vom Plot her ist der Roman nicht besonders anspruchsvoll, aber die Grundidee, als Protagonisten einerseits eine geschäftstüchtige Milliardärin aus der Schokoladenbranche und andererseits einen exklusiven Chocolatier zu wählen, ist einfallsreich und bietet genug Raum für spannungsreiche Missverständnisse und Konflikte zwischen den beiden. Dieses Konfliktpotential wird zusätzlich durch einige kulturelle Unterschiede – im privaten und geschäftlichen Umgang miteinander – zwischen den Amerikanern und Franzosen gesteigert, die aber letztendlich einem Happy End nicht im Wege stehen.
Eine angenehme „Gute-Nacht-Lektüre“.
Rezensiert wurde:
Florand, Laura (2013): Ein süßes Stück vom Glück. Übers. Ingrid Exo und Katharina Kramp. Köln: Bastei Lübbe. [Originaltitel: The Chocolate Thief. New York: Kensington Books, 2012.]
LESEECKE: EIN TRAUM AM KAMINFEUER
rezensiert von PUKI
Der Roman ist eine nette Gute-Nacht-Lektüre und bietet an der englischen Kultur interessierten Lesern authentische Einblicke in die zeitgenössische Gesprächs- und Beziehungskultur. Auch für einen Vergleich des englischen und deutschen Lebensstandard junger Berufstätiger ist der Roman sehr gut geeignet: Eine Lehrerin der Sekundarstufe mit siebenjähriger Berufserfahrung, die erst 29 Jahre alt ist, wäre in Deutschland, heutzutage, unvorstellbar – in England aber anscheinend nicht. Und dass ein Paar Ende zwanzig in der Lage ist, ein eigenes Haus zu kaufen, wäre in einem deutschen Setting auch eher unmöglich.
Das ganze Buch erinnert sehr an einen Leitfaden für Hauseinrichtungen mit ein paar Reflexionen über die eigene und über fremde Beziehungen. Das – um es vorsichtig auszudrücken, aus der Sicht einer in Deutschland lebenden Person – sehr rapide und dadurch schier unmöglich wirkende Tempo der Renovierung und Einrichtung eines alten denkmalgeschützten Hauses klingt witzig oder wahnwitzig oder einfach nur erdacht. Aber man lernt ja bekanntlich nie aus und so wie es auch befremdlich wirkt, dass am 1. Mai in England gearbeitet wird, mag das Renovierungstempo der Engländer tatsächlich viel flotter sein als das der kontinentalen Handwerker.
Von dem „Traum am Kaminfeuer“ liest man aber nicht viel, lediglich im letzten Kapitel geht es um die romantische Winterzeit. Davor stehen der Hauskauf und die Renovierung im Vordergrund, einige Beziehungsprobleme zwischen den beiden Protagonisten Jack und Amelia, ein bisschen auch deren berufliche Fragen und auch familiäre.
Sprachlich ist es interessant, wie die Autorin am Anfang jedes Kapitels eine kleine Passage einfügt, die im Zeitungsstil gehalten wird und die das Thema des Kapitels einleitet – auch optisch sieht das ansprechend aus.
Erzählerisch ist der Roman sehr linear aufgebaut und enthält keine Besonderheiten.
Was das Lektorat anbetrifft, hat Goldmann leider an etlichen Stellen unpräzise gearbeitet; die mit Sicherheit lustigste Stilblüte ist die Äußerung eines Gärtners, der sagt, er und sein Partner hätten den Samen im Garten verstreut (S.201). Schade für die Autorin, die über eine solche Anzüglichkeit mit Sicherheit nicht „very amused“ sein dürfte.
Rezensiert wurde:
Clements, Abby (2014): Ein Traum am Kaminfeuer. Übers. Angela Schumitz. München: Goldmann. [Originaltitel: Amelia Grey’s Fireside Dream. London: Quercus, 2013.]
PUKI, Januar 2021
Bei diesem Roman sind wir in den USA den frühen 20. Jahrhunderts. Es geht um das einfache Leben auf einer Farm, um die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur, darum, der korrupten Stadt den Rücken zu kehren, mit wenig auszukommen usw. Sehr interessante und authentisch wirkende Einblicke in die US-amerikanische Gesellschaft fernab vom Mainstream, allerdings nicht einfach zu lesen. Letztendlich geht es auch um gelebten Feminismus – um eine nicht zähmbare Frau, die reiten und fliegen lernt, eine Ranch betreibt und sich von keinem Mann beherrschen lässt.
Wallis, Jeannette (2011): Ein ungezähmtes Leben. Übers. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. München: diana. (Originaltitel: Half Broke Horses. New York: Scribner, 2009.)
LESEECKE: ERMITTLERIN IN SACHEN LIEBE
rezensiert von PUKI
Dass man über Geschmack nicht streiten kannt, wussten schon die alten Römer, was uns aber nicht davon abhält, unsere Ansichten ständig zu diskutieren und gegeneinander abzuwägen.
Und so möchte ich diese Rezension damit beginnen, die auf dem Buchcover zitierte Einschätzung des Daily Mirror zu kontern, der nach niemand so wunderbar schreibe wie Alexandra Potter. Zugegeben, der Plot ist unterhaltsam und ganz nett zu lesen, an manchen Stellen sogar spannend und humorvoll – und nur am Rande sei bemerkt, dass die Verkörperung der weiblichen Bösartigkeit in Form eines blonden, vollbusigen Unterwäschemodels mehr als stereotyp ist. In Bezug auf die Sprache ist das Buch aber eine Strafe.
LESEECKE: ERSTE LIEBE
rezensiert von PUKI
Man kann es nicht anders ausdrücken, als dass diese Novelle von einem der russischen Meister geschrieben wurde. Sie ist brillant – die Geschichte des 16-jährigen Wladimir, der sich in die fünf Jahre ältere Fürstentochter Sinaida verliebt und schließlich entdecken muss, dass diese eine heimliche Liebschaft hat, und zwar mit seinen eigenen Vater. Die in der zarten Gefühlswelt des Jungen aufbrausenden, leidenschaftlichen Gefühle sind so treffend beschrieben, dass man als Leser nur sagen kann: Jawohl, so habe ich auch mal empfunden.
Sprachlich ist das Werk ein Genuss und, interessanterweise, obwohl es in der gleichen Zeit wie Balzacs Stücke entstanden ist, ist es keineswegs schwerfällig oder schlecht zugänglich. Die Sprache ist klar, die Sätze sind verständlich aufgebaut und die gesamte Erzählstruktur ist gut nachvollziehbar. Sehr angenehm ist auch, dass der Erzähler, anders als z.B. bei Balzac, keine verallgemeinernden Reflexionen anstellt und nicht versucht, dem Leser seine Ansichten aufzuzwingen, Turgenjew schreibt fast schon minimalistisch und dadurch modern – kein Satz ist zu viel, kein Satz zu wenig.
Vom Aufbau her erinnert Erste Liebe an ein weiteres Werk dieser Zeit, und zwar an Mérimées Carmen – beide Novellen haben eine zweigeteilte Struktur: Im ersten Teil erfolgt eine Einleitung, die als Auslöser für den zweiten Teil dient, in welchem die eigentliche Geschichte erzählt wird und zwar durch eine Person, die schon im ersten Teil vorkommt. Möglicherweise ist dies eine in der Literatur des 19. Jahrhunderts beliebte Erzähltechnik. Bei Turgenjew wird zunächst das Beisammensein einer Gruppe von Männern beschrieben, die sich über ihre ersten Liebeserfahrungen unterhalten; einer dieser Herren schildert dann seiner erste Liebe – das ist die eigentliche Erzählung.
Erste Liebe ist ein literarisches Kunstwerk und kann den Sinn für Weltliteratur schärfen; es sollte daher auf den Lehrplänen der Mittelstufe stehen.
Rezensiert wurde:
Turgenjew, Iwan (2005): Erste Liebe. Übers. Ena von Baer. Frankfurt am Main: Insel Verlag. [Originaltitel: „Pervaja ljubov“. In: Biblioteka dlja tschtenija. Sankt Petersburg, 1860.]
Ein authentisches Buch über das Pilgern auf dem Jakobsweg. Peter, ein Jugendlicher in einer pathologischen Familie, beschließt, mit seinem Fahrrad nach Compostela zu pilgern. Je weiter er sich von zu Hause entfernt, desto freier wird sein Kopf und selbständiger sein eigener Weg. Er übernachtet in Kirchen und Klöstern, lässt die Landschaften auf sich wirken und befreit sich mit jedem Kilometer immer mehr von den Lasten, die er hinter sich lässt. Kein fröhliches Buch, v.a. der Anfang nicht, aber ein überzeugendes.
Franck, Ed (1992): Gegenwind. Übers. Mirjam Pressler. Hamburg: Dressler. (Originaltitel: Zomer zeventien. Hasselt: Uitgeverij Calvis, 1992)
Shorts: Happy End für Ally Hughes
Februar 2020
PUKI
Dieses Buch ist nicht ausgereift. Die Bausteine, die die Autorin verwendet, könnten zu einem romantischen Thriller führen, kommen aber halb roh daher. Eine junge Professorin, die keinen Mann findet und schließlich mit einem internationalen TV-Star zusammenkommt, ihre jugendliche Tochter, die FBI-Agentin werden will, undurchsichtige Geschäfte eines Familienfreundes, die eine Polizeirazzia auslösen usw.
Es gibt bessere Bücher auf dem Markt.
Moulin, Jules (2017): Happy End für Ally Hughes. Übers. Frauke Brodd. München: Piper. [Originaltitel: Ally Hughes Has Sex Sometimes. New York: Penguin, 2015.]
Kochen & Bloggen sind die Leitthemen dieses Romans. Es geht um Branchenintrigen, Fakes, Internetmarketing & PR. Sunshine ist der Vorname einer jungen Frau, die mit einer eigenen Internetkochshow berühmt wird, ohne wirklich kochen zu können. Aufgrund von Intrigen stürzt das Sunshine-Imperium ein, ihre Beziehung ist ruiniert und sie geht zurück in die Kleinstadt, aus der sie herkommt – Montauk in den Hamptons. In ihrer finanziellen Not steigt sie als Küchenhilfe in einem renommierten Restaurant in der Gegend ein, dessen Besitzer, ein mürrischer Herr vom alten Schlag, keine Ahnung von Sunshines berüchtigter Berühmtheit hat. Eine nette Lektüre ohne besondere literarische Ansprüche.
Dave, Laura (2018): Hello Sunshine. Übers. Ivana Marinovic. München: blanvalet. (Originaltitel: Hell, Sunshine. New York: Simon & Schuster, 2017.)
LESEECKE: HERMAŃCE
rezensiert von PUKI
Das ist Literatur! Selten ist ein Buch der Gegenwartsliteratur sprachlich so kunstvoll und erzählerisch so einfallsreich geschrieben wie dieser Roman. Man liest, staunt und genießt. Aber was macht den Reiz von Hermańce nun genau aus?
LESEECKE: IN BOSTON?
rezensiert von PUKI
Von sehr vielen Romanen der Gegenwartsliteratur hebt sich In Boston? durch den Mut des Autors ab, ein zur Geschichte adäquates Ende zu schreiben, und zwar kein offenes. Dabei fühlt man sich als Leser gezwungen, die letzten Zeilen immer wieder zu lesen, und fragt sich durchaus, was „danach“ passierte. Durch diesen Kunstgriff gelingt Greenan die literarische Quadratur des Kreises: Wenn man am Ende ankommt, steht man wieder an einem Anfang, und zwar an einem, der einem einen kurzen Blick auf eine komplett neue Welt frei gibt.
Eigentlich ist In Boston? ein Kunstkrimi – das erkennt man aber erst im Verlauf der Lektüre. Wenn all die Aussagen über die Malerei, Bildhauerei, die unterschiedlichen Maltechniken usw. tatsächlich der Wahrheit entsprechen, sollten Auszüge aus dem Roman Pflichtlektüre im Kunstunterricht der Ober- bzw. Kollegstufe werden. In dreizehn Jahren Kunstunterricht habe ich nicht annähernd so viel über die Herstellung von Farben, Gemälden und anderen Kunstwerken gelernt, wie bei der Lektüre von In Boston?. Die Beschreibungen wecken in einem die Lust, wieder eine Galerie zu besuchen, und rufen die Erinnerung an die Pinakotheken, den Louvre oder das Czartoryski-Museum wach.
Darüber hinaus ist In Boston? vollgespickt mit Orts- und Personennamen der Weltgeschichte und Mythologie, die man schon mal gehört hat oder gehört haben sollte, aber früher oder später passen muss – man kennt einfach nicht alle Hintergründe, die relevant wären, um den „Reise“-Berichten des Erzählers, Alfred Omega, zu folgen. Wenn man sie recherchierte, würde man viel dazulernen, wenn man sie aber nur zur Kenntnis nimmt, sind die entsprechenden Passagen kryptisch und schwer nachvollziehbar.
Die „Reise-“Berichte an sich klingen wie eine Vorlage für Zeitspringerfilme. In ihnen an sich sowie in ihrer Vielfalt beweist Greenan sehr viel Vorstellungskraft. Aber nicht nur darin – die Erfindung des Buches eines polnischen Zauberers (im Vorwort erklärt Greenan, dass das Buch nicht existiert) samt aller darin vorkommender Informationen zeugt von sehr hohem Einfallsreichtum. Dass in diesem Zusammenhang die Erscheinung Gottes und seine Begegnung mit dem erwähnten Zauberer in einem Gebiet des ehemaligen Königreichs Polen stattfindet, während die durch Alfred vermutete Inkarnation des Teufels – ein in Boston tätiger Versicherungsmaler namens Mr. Beels – mit seinem Bediensteten Deutsch spricht, verleiht dem Übernatürlichen historisch-kulturelle Süffisanz.
Sprachlich büßt der Roman das ein, was er an Kreativität in Fülle zu bieten hat. Die Erzählstruktur ist jedoch interessant: Während die Schilderungen weit zurückliegender Ereignisse bis hin zur jüngeren Vergangenheit für ein Erzählkontinuum sorgen – das letzte Kapitel spielt ebenfalls in der Vergangenheit –, versetzen tagebuchartige Beschreibungen von Ereignissen, die sich aktuell im Leben des Erzählers abspielen, sowie im Präsens geschilderte Passagen den Leser in Alfreds Gegenwart. Letztendlich bietet diese Erzählstruktur spannende Unterhaltung und wirft vor dem Hintergrund des Endes eine unbeantwortbare Frage auf: Wer ist Alfred Omega zum Zeitpunkt seiner Erzählung, dass er Vergangenheit und Gegenwart derart miteinander verschmelzen lassen kann?
Das Buch ist in jedem Fall lesenswert.
Rezensiert wurde:
Greenan, Russell H. (2009): In Boston? Übers. pociao. Zürich: Diogenes. (Lizenzausgabe der Neuausgabe von 2007, München: SchirmerGraf Verlag.) [Originaltitel: It Happened in Boston? New York: Random House, 1968. Neuausgabe 2003, New York: Modern Library Paperback Edition.]
Zwar ein Kriminalroman, aber im Mittelpunkt steht kein Mord, sondern ein Juwelendiebstahl. Soweit so gut. Was ist aber das Besondere an dem Buch. Zweifelsohne der zweite Protagonist, nämlich Ganesha – ein Babyelefant. Dieser hilft einem pensionierten Polizisten namens Chopra, der als Privatdetektiv tätig ist, die Fälle zu lösen. Nicht durch irgendwelche übernatürlichen Kräfte, sondern durch seine feinen Sinne und die natürlichen Instinkte. Der Babyelefant ist natürlich ein unglaublicher Sympathieträger und das Buch vermittelt tatsächlich auch viele Informationen, die man sonst über Elefanten nicht weiß. Die Stärke des Buches ist aber das Wissen des Autors, der zehn Jahre in Indien gearbeitet hat und inzwischen am University College London im Bereich Kriminalwissenschaften tätig ist, über das indische Justizsystem. Ein interessanter Einblick in eine uns doch sehr fremde Kultur.
Khan, Vassem (2018): Inspector Chopra und der Juwelenraub. Übers. Peter Friedrich. Berlin: ullstein.
LESEECKE: KLEIDER MACHEN BRÄUTE
rezensiert von PUKI
Dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Zunächst erfüllt die Handlung nicht die Erwartungen, die Titel und Umschlagbild wecken: Es geht nicht um Bräute und Kleider, sondern um eine Braut und um ein Kleid. Genau genommen geht es darum, dass Molly Wrigth ihrer großen Schwester Caitlin, die bald heiratet, deren in Paris angefertigtes Brautkleid persönlich bringen möchte und auf ihrer Reise in unterschiedliche Schwierigkeiten gerät. Am Ende stellt sich heraus, dass sie das falsche Kleid ausgehändigt bekommen hatte und das eigentliche Kleid wird schlussendlich per Kurier nachgeliefert.
Aufgrund seiner Handlung kann man das Buch als einen Frauen-Reiseabenteuer-Liebesroman kategorisieren und weniger als einen Hochzeitsroman. Die Stellen, die tatsächlich um das Thema Hochzeit kreisen, liefern viele Belege dafür, dass die Autorin mit dem Thema nur rudimentär vertraut ist bzw. sich wenig Zeit zum logischen Durchdenken aller Details und für die zugehörige Recherche genommen hat. So wird bspw. eine große, internationale Promi-Hochzeit ausgerichtet, deren Planung monatelang die Angehörigen der Braut belastet; im Verlauf des Buches stellt sich aber heraus, dass das Paar erst 5 Monate zusammen ist. Oder es wird das maßgeschneiderte Kleid eines Pariser Designers mit drei Tausend Euro beziffert – realistischer wäre das Zehnfache.
Und deshalb an dieser Stelle ein grundsätzlicher Gedanke: Vielleicht sollte man lieber über Themen schreiben, mit denen man sich auskennt? Zumindest hätte man dann eine größere Chance, den Leser zu überzeugen – wenn schon nicht sprachlich, dann zumindest mit Faktenwissen. Sprachlich hat das Buch nämlich nicht viel zu bieten. Selbst die Beschreibungen der Mode, mit der sich die Autorin laut eigenen Angaben so gerne auseinandersetzt, sind nicht überzeugend, weil zu sperrig – ähnlich den Beschreibungen der wirtschaftlichen Zusammenhänge in Das war ich nicht. Die zugehörigen Passagen wirken, als würden sich die Autoren in ihre eigenen Ausführungen verlieben und dabei den Leser aus den Augen verlieren. Lange, ausführliche Berichte über ein spezielles Thema passen von der Textsorte her eher in Hand- oder Sachbücher. In einem Roman sind sie deplatziert oder sollten zumindest mit ansprechenden Zeichnungen angereichert werden.
Zur Erzählstruktur des Buches lässt sich nicht viel sagen – sie ist schlicht chronologisch-linear.
Wiederum die Charaktere sind schablonenhaft. Es gibt einerseits einen Schurken, den Modedesigner Delametri, und einen Halbschurken, Mollys Freund bzw. Exfreund Reggie, und andererseits die anderen Figuren, die mehr oder weniger perfekt sind, v.a. Simon, der neue Mann am Horizont. Dieses Fehlen eines markanten Profils in den einzelnen Figuren zusammen mit dem sprachlichen und erzählerischen Mittelmaß sowie der faktisch-logischen Problematik führt zu der Einschätzung, dass die Lektüre des Buches weniger empfehlenswert ist.
Zum Schluss noch ein Hinweis zur Originalausgabe: Das Buch ist bei Diversion Books erschienen, einer Online-Plattform, die Autoren die Möglichkeit bietet, ihr Buch hochzuladen und zur Veröffentlichung freizugeben. Die englische Fassung von Kleider machen Bräute ist im E-Format erschienen, ohne Printausgabe. Vielleicht hängen die inhaltich-sprachlichen Qualitätsmängel damit zusammen? Offen bleibt aber, warum ein Verlag wie Heyne zu derartigem Ausgangsmaterial greift.
Rezensiert wurde:
Hepburn, Lucy (2013): Kleider machen Bräute. Übers. Silvia Kinkel. München: Wilhelm Heyne. (Originaltitel: ALL DRESSED UP. Diversion Books: New York, 2013. Veröffentlichung als E-book.)
LESEECKE: KORIANDERGRÜN UND SAFRANROT
rezensiert von PUKI
Dieser Roman stellt das Leben wie den Wellengang des Meeres dar – von einem ständig Auf und Ab geprägt, in dem sich berufliche sowie zwischenmenschliche Niederlagen und Höhepunkte bemerkenswert abwechseln.
Ein schönes Buch über Elternschaft, Fürsorge, Berufung, Altruismus, Freundschaft und Liebe. Thomas verbringt seit seinem Studium viele Jahre in der dritten Welt, wo er als Arzt Menschen in der Not hilft. Als er um die vierzig ist, erfährt er auf Umwegen, dass er eine erwachsene Tochter hat, in Paris, wo er früher studiert hat. Er kehrt zurück, um sie kennenzulernen, möchte ihr aber nicht persönlich begegnen, um ihre Welt nicht durcheinanderzubringen. Stattdessen übernimmt er die Leitung eines nahegelegenen Altenheimes und beobachtet sie aus der Distanz bis sich ihre Lebenswege doch noch kreuzen.
Die Stärke des Buches liegt m.E. in den vielen Weisheiten der alten, aber nicht senilen Altenheimbewohner und in den zahlreichen witzigen Situationen, die dadurch zustande kommen, dass Thomas als neuer Heimleiter mit seinem eigenen Hintergrund die französischen Gesetze und Normen nicht allzu ernst nimmt, was die Bewohner und die einzige Angestellte, Pauline, sehr begrüßen. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden ist natürlich auch vorprogrammiert.
Legardinier, Gilles (2017): Monsieur Thomas und das Geschenk der Liebe. Übers. Doris Heinemann. München: Goldmann.
LESEECKE: ROMANS NA RECEPTĘ
rezensiert von PUKI
Leider fällt dieser Roman im Vergleich zu Stateczna i postrzelona der gleichen Autorin recht schwach aus.
Zum einen ist da die Sprache – zu viele Fachausdrücke aus dem Bereich Fernsehtechnik und Bergwacht. Man versteht als Leser weder die Bedeutung der Fachwörter noch tragen sie dazu bei, die Atmosphäre authentischer werden zu lassen. Ein ähnliches Problem stellen die lateinischen Ausdrücke dar, wie „in loco parentis“ oder „de domo“. Sie sind zwar mit etwas Lateinkenntnissen verständlich, wirken aber – im Polnischen noch mehr als sie es im Deutschen tun würden – unnötig.
Die Geschichte ist passabel, aber erzählerisch leider durcheinander gewürfelt. Der ständige Wechsel des Settings zwischen Stettin und dem Riesengebirge und zwischen dem Haus der Erzählerin, einer TV-Reporterin namens Eulalia, und ihrem Arbeitsplatz ist nicht lesefreundlich. Zumindest wünscht man sich etwas mehr Gleichmäßigkeit in der Handlung bei einer gleichzeitig spannenderen Entwicklung.
Auch die Dialoge und Monologe lassen zu wünschen übrig: Auf der einen Seite versucht die Autorin ihrer Protagonistin sowohl Hochsprache in den Mund zu legen als auch Slang, auf der anderen ist der Roman sprachlich durch und durch sehr durchschnittlich verfasst.
Rezensiert wurde:
Szwaja, Monika (2013): Romans na receptę. (Übers. d. Rez.: Liebesaffäre vom Arzt verordnet.) Warszawa: Prószyński i S-ka.
LESEECKE: SCHÖNE RUINEN
rezensiert von PUKI
Was gleich auf der ersten Seite der deutschen Ausgabe des Romans auffällt, ist der Rechtschreibfehler – und das bei einem Autor, der für den Pulitzerpreis nominiert war.
Dabei ist das Besondere an diesem Roman seine ausdifferenzierte Sprache und Erzähltechnik: Das Italien der 1960er Jahre klingt anders als das Hollywood unserer Zeit usw. Auch die Lebensumstände und teilweise auch die Lebensphasen der Akteure sind jeweils unterschiedlich und, damit einhergehend, die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, ganz andere.
Bei der Lektüre erweist sich aber diese Stärke der kontrastiven Darstellung als hinderlich für den Lesefluss. Es braucht nämlich immer seine Zeit, bis man zwischen „Italien 1962“ und „Kalifornien unlängst“ umgeschaltet hat – der Unterschied ist wie Tag und Nacht.
Worum es in dem Buch grundsätzlich geht, ist die Lebensgeschichte einer Schauspielerin, die von Richard Burton am Set zu Cleopatra, in Rom, schwanger wird, aus finanziell-organisatorischen Gründen zunächst in ein abgelegenes Dorf der Cinque Terre gebracht wird, anschließend aber das Kind in der Schweiz abtreiben soll, jedoch in aller Stille in die USA zurückkehrt. Die Verstrickung ist die, dass der Betreiber des kleinen Hotels, Pasquale Tursi, die Frau nach fünfzig Jahren wiederfinden möchte und dabei die Hilfe jenes Mannes benötigt, der sie als PR-Agent von Cleopatra 1962 zur Abtreibung bewegen wollte und in der Zwischenzeit zu einer Koryphäe der Filmbranche aufgestiegen ist.
Das Ende des Buches ist weder zu festgelegt und kitschig noch zu offen und nichtssagend, also genau richtig.
Sprachlich interessant ist die Vielfalt der integrierten Textsorten, die meist von Nebenfiguren verfasst sind oder vorgetragen werden, so zum Beispiel ein Buchkapitel von Alvis Bender, ein Akt eines Dramas von Lydia Parker, ein Film-Pitch von Shane Wheeler usw.
Was ebenfalls positiv auffällt, ist die Verwendung italienischer Zitate in Verbindung mit einer deutschen Übersetzung und zwar durchgehend; so kann man als Leser den Lokalkolorit genießen ohne dabei aufs Textverständnis verzichten zu müssen.
Ohne Frage ist der Roman gut durchdacht, die Charaktere nicht willkürlich angelegt, ebenso wenig die einzelnen Kapitel. Und doch fehlt dem Buch einiges zur Großartigkeit: Tiefgang und Poesie.
Rezensiert wurde:
Walter, Jess (2013): Schöne Ruinen. Übers. Friedrich Mader. München: Karl Blessing Verlag. [Originaltitel: Beautiful Ruins. New York: HarperCollins, 2012.]
LESEECKE: SCHREIBEN SIE MISS LONELYHEARTS
rezensiert von PUKI
In seinem Vorwort zu Schreiben Sie Miss Lonelyhearts fragt Alan Ross, warum Nathanael West trotz seines literarischen Könnens noch ungenügend bekannt ist. Nach der Lektüre des Romans habe ich die Frage für mich selbst so beantwortet: Das Buch dockt nicht an. Es verfügt über viele Ingredienzien, die für hochwertige Literatur ausschlaggebend sind: ein eigener Schreibstil, Symbole und Metaphern, prägnante Charaktere, spannungsreich gewählte inner- und zwischenmenschliche Konflikte usw. usf. Auch die Handlung ist originell: Der Protagonist, „Miss Lonelyhearts“ – auch als Briefkastenonkel bezeichnet –, ist ein Zeitungsmitarbeiter, der Leserbriefe beantwortet. Aber anders als man aufgrund des Titels annehmen könnte, wenden sich die Leser an „Miss Lonelyhearts“ nicht in Sachen Liebeskummer.
In ihren Briefen beklagen sie sehr leidvollen Erfahrungen, wie Gewalt, Behinderung, Armut, Arbeitslosigkeit, Betrug etc., wodurch der Leser einen Blick auf die in der heutigen Literatur eher selten thematisierte Situation der Unterschicht in den USA der 1930er Jahre erhält.
Und dennoch berührt das Buch nicht. Es erschüttert teilweise, das ja, und es ist dazu prädestiniert, bspw. im Rahmen eines Schulaufsatzes oder einer Hausarbeit untersucht zu werden – Fragen wie „Ist ‚Miss Lonelyhearts‘ der Christus des modernen Amerikas?“ drängen sich geradezu auf –, aber die Empathie für den Protagonisten bleibt auf halber Strecke, zwischen dessen Hang zum Übeltäter, religiösem Wahn und spiritueller Läuterung.
Sprachlich und von der Grundstimmung her erinnert das Buch an Bölls Billard um halb zehn. Gefühle werden knapp formuliert, dafür kommen bestimmte Bilder exzessiv wiederkehrend zum Einsatz. Die so ausgedrückten, stets latent gegenwärtigen Wahnvorstellungen der Protagonisten beider Bücher bleiben zwar in Erinnerung haften, finden beim Leser aber wenig bis keine Sympathie bzw. kaum Nachempfinden oder Verständnis.
Rezensiert wurde:
West, Nathanael (1972): Schreiben Sie Miss Lonelyhearts. Übers. Fritz Güttinger. Vorwort: Alan Ross. Zürich: Diogenes. [1962] [Originaltitel: Miss Lonelyhearts. New York: Farrar, Status & Giroux, 1933.]
Ein tolles Buch – sprachlich, thematisch und erzählerisch. Es spielt in der heutigen Türkei mit Abstechern in die USA und nach Deutschland und handelt rückblickend von der wenig bekannten Geschichte der deutsch-türkischen Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges, insbesonders im Hinblick darauf, dass die Türkei damals verfolgte Wissenschaftler aufnahm. Im Mittelpunkt des Romans steht die Geschichte eines solchen Mannes, der im Buch Professor Maximilian Wagner heißt und als alter Mann nach Istanbul zurückkommt, um von seiner großen, tragischen Liebe Abschied zu nehmen. In dem Zusammenhang wird die Geschichte der Struma erzählt, eines Passagierschiffes, das tatsächlich existierte, und mit mehreren Hundert jüdischen Flüchtlingen an Bord nie das angepeilte türkische Festland erreichte – im Roman selbst befindet sich an Bord die Verlobte des Professors. Die Parallele zu heutigen Flüchtlingswellen und den zahlreichen Tragödien, die sich im Mittelmeer ereignen, vergegenwärtigt der Leser_in, wie wenig sich in den vergangenen 80 Jahren getan hat im Hinblick auf gelebte Humanität.
Livaneli, Zülfü (2015): Serenade für Nadja. Übers. Gerhard Meier. München: btb.
Anstrengend zu lesen und insgesamt wenig lohnenswert. Wie eine Art Road Movie durch die USA, bei dem eine Familie den Vater bzw. Ehemann sucht, der sich ein paar Tage lang zurückziehen will, um eine alte Rechnung aus der Vergangenheit zu begleichen. Die ganze Story ist so inszeniert, dass sie wie ein furchtbarer Fall von Kidnapping wirken soll und zum Schluss folgt eine „glorreiche“ Agentenszene wie in Oceans 11. Aber insgesamt ist das Ganze einfach nur hohl und uninteressant.
Kinsella, Sophie (2016): Shopaholic & Family. Übers. Jörn Ingwersen. München: Goldmann.
LESEECKE: STATECZNA I POSTRZELONA
rezensiert von PUKI
Ja, es geht – das Buch ist unterhaltsam und interessant. Anfänglich wirkt es etwas oberflächlich, und zwar solange es um die Protagonistin Emilka und ihren Freund geht, der als Drogendealer von einer Sondereinsatzkommandoeinheit gestellt wird. Dieser Teil des Buches wirkt einfach nicht überzeugend.
Danach nimmt es aber Schwung auf und ist quasi ein Selbstläufer, wie ein Drachenflieger bei gutem Wind. Die positive Laune der Handlung ist sogar ansteckend – darüber zu lesen, wie eine kleine Gruppe junger Menschen ein agrotouristisches Unternehmen im Riesengebirge bei ihrer sehr alten Bekannten aufbaut, macht Lust, selbst tätig zu werden. Zum Ende hin verkomplizieren sich die Geschicke, teilweise etwas unnötig, und in den Vordergrund rücken die zwischenmenschlichen Beziehungen der jungen Paare.
Erzählerisch ist das Buch kein Kunstwerk, aber gelungen: Die Geschichte wird in Form von Tagebucheinträgen zweier Frauen erzählt, denen ein gemeinsamer Psychotherapeut dazu geraten hat, diese kostengünstige Therapieform auszuprobieren. Beide schreiben stilistisch ein wenig unterschiedlich und sie erwähnen auch unterschiedliche Dinge, teilweise schreiben sie aber über die gleichen Gegebenheiten, eben aus ihren eigenen Perspektiven heraus, was vor allem bei interpersonalen Konflikten unterhaltsam ist.
Sprachlich ist das Buch deshalb interessant, weil die Autorin immer wieder mit der Unlogik des Polnischen spielt, mit „unmöglichen“ Endungen und potentiellen Derivaten, die lustig klingen, weil sie logisch sind, aber eben auch falsch.
Für eine Übersetzung wäre das Buch aus mehreren Gründen geeignet.
Als reine Unterhaltungsliteratur ist es angenehm zu lesen und aufgrund seines Settings in einem sehr malerischen Gebiet mit zahlreichen Kur- und Erholungsorten spürt man schon bei der Lektüre die Atmosphäre eines erholsamen Urlaubs. Und für eine Übersetzung ins Deutsche wäre es aufgrund der vielfältigen deutsch-polnischen Aspekte interessant, hauptsächlich touristischer und zwischenmenschlicher Art, aber angedeutetermaßen auch gesellschaftspolitisch-historischer und wissenschaftlicher.
So wird in Gestalt der alten Baronin Marianne von Krueger, die in ihr heimisches und einst nach ihr benanntes Mariendorf bzw. Marysin reist, die polnische Angst vor deutsch-revisionistischen Ansprüchen personifiziert
Die alte Stanislawa stellt das polnische Pendant zu der Baronin dar und empfängt ihre Zeitgenossin nicht gerade freundschaftlich. Beide Damen freunden sich aber mit der Zeit an und sind schließlich unzertrennlich – ein sehr schönes Symbol für die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen.
Auch in der jüngeren Generation gibt es deutsch-polnische Verflechtungen. So hat sich zum Beispiel
der Enkel der Baronin in eine Polin verliebt, die er in Harvard kennengelernt hatte, und reist ihr aus Liebe nach Polen hinterher.
Unter den Gästen der agrotouristischen Pension gibt es außerdem einen Wissenschaftler, der über die Thematik der deutsch-polnischen Beziehungen habilitiert, und ferner regelmäßig deutsche Touristengruppen zu Besuch. Diese werden als rüstige Rentner, die vor Energie strotzen, dargestellt, und die an der polnischen Landschaft, Natur, Kunst und Küche einen Narren gefressen haben.
Die gewählte Gegend eignet nicht nur aufgrund ihrer geopolitischen Lage für solche internationalen Verflechtungen hervorragend, sondern auch aufgrund der jüngeren Geschichte, da es ja die kurz nach dem Krieg „neu besetzten“ Gebiete sind. Das zugehörige Stichwort lautet „West-Verschiebung Polens“, die 1943 auf der Konferenz von Teheran durch Churchill, Stalin und Roosevelt beschlossen und 1945 im Potsdamer Abkommen festgelegt wurde. Im Zuge dieser Verschiebung mussten Deutsche, die östlich der Oder-Neiße lebten, wegziehen, was teilweise mit Vertreibung einherging, während die Polen, die östlich der Curzon-Linie lebten, einer Demarkationslinie der polnisch-sowjetrussischen Grenze, wie sie im Zuge der Wiedergründung des polnischen Staates bereits nach dem Ersten Weltkrieg vorgeschlagen und nach dem damaligen britischen Außenminister Curzon benannt wurde, die dortigen Gebiete verlassen mussten.
Der durch die Verschiebung entstandenen Leere im neuen polnischen Westen wurde innenpolitisch mit der Besiedlung eben dieser Gebiete mit polnischer Bevölkerung aus anderen Teilen des Landes begegnet; außenpolitisch sorgte die Oder-Neiße-Grenze Jahrzehnte lang für Spannungen in den deutsch-polnischen Beziehungen, da sie durch Deutschland bzw. zunächst durch die damaligen DDR und durch die BRD nicht schriftlich anerkannt wurde. Entsprechende Friedensverhandlungen resultierten erst 1990 in einem völkerrechtlichen Vertrag, dem deutsch-polnischen Grenzvertrag, der durch die damaligen Außenminister Genscher und Skubiszewski unterzeichnet wurde und 1992 in Kraft trat.
Daher ist es durchaus spannend, ein Zusammenkommen zwischen den Polen und den Deutschen gerade in diesem Gebiet stattfinden zu lassen, und zwar mehrere Jahrzehnte nach diesen für beide Seiten traumatischen historisch-politischen Vorfällen. Wobei natürlich, aufgrund des Genres, die politischen Aspekte nur als kollektives Bewusstsein mit individuellen Stories in der Geschichte mitschwingen und nicht tiefgründig reflektiert werden.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Schlesien bzw. die Gegend um das Riesengebirge herum eine Gegend ist, in der sich sagenumwobene Schätze befinden sollen, z.B. der sog. „Goldzug“. Die Autorin greift die Idee der Schatzsuche dezent auf, und zwar in einem Erzählstrang darüber, wie die Juwelen der Baronin vor ihrer Flucht aus Mariendorf versteckt werden musste und noch nicht wiedergefunden wurden. Ähnlich dem Goldzug, der regelmäßig in den polnischen Medien thematisiert wird und den Traum vieler Schatzsucher darstellt, werden auch in dem Buch die Juwelen der Baronin nicht gefunden, aber es gibt einen plausiblen Hinweis darauf, wo sie sich befinden.
Ein rundum nettes Buch des Genres Pop-Literatur, das auch das Potenzial zu einer Serie zu haben scheint – für einen TV- bzw. Kinofilm gibt es zu viele Charaktere und Einzelstränge, aber für einen Mehrteiler, z.B. für die erste Staffel einer größeren Reihe, reicht die Handlung allemal.
Rezensiert wurde:
Szwaja, Monika (2011): Stateczna i postrzelona. Warszawa: Prószyński i S-ka.
LESEECKE: ÜBER DIE LIEBE UND DEN HASS
rezensiert von PUKI
Das Buch besteht aus mehreren Erzählungen. Die den meisten Geschichten zugrunde gelegte Thematik ist die marokkanisch-muslimische Kultur in ihrem Schnittpunkt mit Belgien bzw. Europa. Der Leser erhält einen überzeugend authentischen Einblick in die Lebensweise, Probleme und Eigenarten der ehemaligen marokkanischen, in Belgien tätigen Gastarbeiter und ihrer breites europäisierten Nachkommen. Über die Liebe und den Hass stellt viele interessante Aspekte einer kulturellen Situation dar, die in Deutschland zwar nicht vorliegt, aber mit der der ehemaligen türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik vergleichbar scheint.
Die Vielfalt der Charaktere der zwölf Geschichten ist beeindruckend: Alter, Geschlecht, Beruf, soziale Stellung der jeweiligen Personen und ihre Beziehungen zu den Nebencharakteren ergeben in jeder Geschichte eine andere Konstellation.
Sprachlich zeugt das Buch von einem guten Handwerk. Interessant sind auch die in die Geschichten eingeflochtenen arabischen Wörter und Ausdrücke; den einen oder anderen kennt man auch ohne Arabischkenntnisse, viele sind im Satz selbst auch auf Deutsch erklärt und alle werden sie in einem kleinen Glossar am Ende des Buches zusammengefasst.
Erzählerisch sind jedoch etliche der Geschichten unnötig kompliziert: Wenn man den Beginn einer Erzählung erst ab der Mitte oder gar erst am Ende versteht, hat der Autor m. E. die einzelnen Bausteine nicht leserfreundlich arrangiert, was zur Folge hat, dass man zunächst gegen eine Demotivation zum Weiterlesen ankämpfen muss – aufgrund der inhaltlichen Unübersichtlichkeit – und später sich fragt, warum die Erzählung so kompliziert angelegt wurde. Durch die komplizierte Struktur gewinnen die Geschichten nicht an Spannung, sondern verlieren an Transparenz und Verständlichkeit.
Auch weniger gelungen, obwohl dies vielleicht Geschmackssache ist, sind die zahlreichen offenen Enden. Die Geschichten enden abrupt, quasi mitten im Geschehen und der Leser erhält gar keinen Hinweis darauf, ob z.B. die Frau mit Kopftuch eine Chance auf den gewünschten Ausbildungsplatz erhält oder nicht und ob die drogenabhängige Teenie-Mutter ihr zur Adoption weggegebenes Kind zurückbekommt.
Wiederum sehr einfallsreich sind die beiden sehr unüblichen Erzähler: der Komapatient in „Über die Liebe und den Hass“ und das noch ungeborene Kind in „Ammetis, der Schläfer“. Die Autorin wagt sich nicht nur, aus der Perspektive von Menschen zu schildern, bei denen wir kein Bewusstsein vermuten, sondern geht noch einen Schritt weiter und macht sie zu allwissenden Erzählern. Bei Ammetis wird die Geschichte dadurch sehr bewegend und, auch wenn viele traurige Aspekte vorliegen, auf einer Mutter-Kind-Ebene romantisch-sentimental. Sie ist in meinen Augen die gelungenste der 12 Erzählungen und die einzige inspirierte.
Über die Liebe und den Hass ist nicht die einfachste Gute-Nacht-Lektüre – es bietet nicht einfach nur Unterhaltung, sondern zwingt zum Nachdenken. Wer sich durchbeißt, wird mit der Erweiterung seiner sozio-kulturellen Kenntnisse eines Nachbarlandes belohnt.
Rezensiert wurde:
Labrabet, Rachida (2012): Über die Liebe und den Hass. Übers. Heike Baryda. München: btb. [Originaltitel: Een kind van God. Antwerpen: Meulenhoff/Manteau, 2008.]
LESEECKE: WIE DIE FRAUEN VON BORGO PROPIZIO DAS GLÜCK ERFANDEN
rezensiert von PUKI
Wenn man als Leser meint, eine Antwort darauf zu finden, wie nun die Frauen des kleinen italienischen Ortes Borgo Propizio das Glück erfanden, wird man enttäuscht sein – selbst nach der Lektüre des Buches ist es nicht einfach, eine passende Antwort zu finden, weil diese Frage gar nicht im Vordergrund des Romans steht. Umso unbegreiflicher ist die Titelwahl und eines der zahlreichen, in der aktuellen Belletristik anzufindenden Beispiele für Fehlentscheidungen seitens eines Verlages. Der Leser greift zu dem Buch in der Meinung, in eine zauberhafte, entrückte Welt einzutauchen und bewegende Lebensweisheiten zu erfahren und bekommt nichts von alle dem.
Thematisch stehen im Vordergrund zwischenmenschliche Beziehungen sowie Karrierefragen. Es gibt zwei in die Jahre gekommene Schwestern, die zusammenleben, und von denen sich die eine, Mariolina, auf eine unerwartete Affäre einlässt und bald heiratet, während die andere, Marietta, ihre Häkelkunst zunehmend monetarisiert. Darüber hinaus gibt es den Anwalt Cesare, der seine getrenntlebende Frau Claudia zurückzugewinnen versucht, und deren gemeinsame Tochter Belinda, die trotz aussichtsreicherer beruflicher Möglichkeiten einen Milchladen in dem kleinen Ort Borgo Propizio eröffnen möchte. Der Liebhaber von Mariolina ist zugleich ein Mandant von Cesare und Belindas Handwerker, sodass sich die Plots überlagern. Es gibt einige Situationskomik und heitere Verwechslungsmomente, mehr aber auch nicht.
Sprachlich ist der Roman mittelmäßig und erzählerisch nicht ausgreift. Das abrupte Ende wird versuchsweise damit kompensiert, dass in Form einer kurzen Zusammenfassung zu jedem Charakter gesagt wird, wie sich sein Leben weiterentwickelt hat – so, wie manchmal im Abspann von Filmen.
Für ein Erstdebüt ist der Roman nicht schlecht, die Autorin zeigt in Ansätzen, dass sie unterhalten und eine verflochtene Geschichte konstruieren kann. Warum das Buch ausgezeichnet wurde, ist in meinen Augen aber nicht nachvollziehbar.
Limone, Loredana (2014): Wie die Frauen von Borgo Propizio das Glück erfanden. Übers. Christiane Landgrebe. München: Thiele. [Originaltitel: Borgo Propizio. Parma: Ugo Guanda Editore S.p.A, 2011.]
Von Puki | März 2021
Ein schwieriges Buch, bei dem eine Beziehung nicht zustande kommt, weil die Frau, Susan, vor Philip, davonläuft. Sie möchte Entwicklungshilfe in Honduras leisten und bleibt schließlich ihr Leben lang dort. Philip warten auf sie in den USA bis er irgendwann man doch heiratet, weil die Rückkehr von Susan aussichtlos erscheint. Umso erstaunter ist er, als Jahre später Susans kleine Tochter Lisa bei ihm auftaucht, da sie angeblich verschollen ist. Letztendlich stellt sich heraus, dass es ihr gemeinsames Kind ist, dem Susan eine bessere Kindheit ermöglichen wollte ohne Philips Leben zu verkomplizieren. Am Ende hat Lisa als junge Erwachsene zwei Mütter und lernt auch mit Susan Honduras kennen. Seltene Konstellationen, etwas schwer zu lesende, da sehr belastete Beziehungen, aber alles in allem eine originelle Geschichte.
Levy, Marc (2005): Wo bist Du? Übers. Bettina Runge und Eliane Hagedorn. München: Knaur. (Originaltitel: Où est-tu? Paris: Editions Robert Laffont.
LESEECKE: YUCATAN
rezensiert von PUKI
Wenn man die Wahl hat, mit Yucatan oder Als Durante kam zu beginnen, würde ich den erst genannten Titel empfehlen – so erlebt man als Leser eine Steigerung im Hinblick auf die erzählerische und sprachliche Kompetenz des Autors, die womöglich auf einen literarischen Reifungsprozess zurückgeht.
Nach der Lektüre von Yucatan habe ich mich zunächst gefragt, warum das Buch diesen Titel trägt – viel besser geeignet wären z.B. „Einmal Hollywood und zurück“ oder „Drus skurrile Drehbuch-Abenteuer“. Auf jeden Fall ein Titel, der keine Erwartungen schürt, die er nur äußerst marginal erfüllt. Ein ähnliches Problem sehe ich in der Zusammenfassung der Geschichte auf dem Buchrücken: Wenn man den Roman gelesen hat, fragt man sich, ob der Verfasser die Geschichte überhaupt kennt oder sie nur nach Vorgabe zusammengefasst hat. Es wird mitnichten „in die metaphysisch und mystisch geprägte Welt Mittelamerikas“ eingetaucht, es kommt lediglich der Name eines vermeintlichen Geistes vor, der den Protagonisten Botschaften zu senden scheint, sowie die Erwähnung von zwei Tempelstätten und ein paar kleinen Dörfern, die für die Handlung unwesentlich bleiben. Wer also erwartet, in die südamerikanische Kultur richtig einzutauchen, wie es das Buch verspricht, wird enttäuscht.
Die Story an sich ist, um es in einem Wort zu sagen, skurril. Die Handlung beginnt spannend, wird aber nach einigen Seiten zäh und will nicht richtig ins Rollen kommen. Man wartet und wartet, bis die Protagonisten in einem kleinen mexikanischen Dorf von einem Schamanen ins Okkulte eingeführt werden, ein Medium treffen oder sonstige spirituelle Erfahrungen machen, stattdessen liest man seitenweise, wie sie von einem Hotel zum nächsten fahren.
Sprachlich ist das Buch „ok“, mehr aber auch nicht.
Bei den Figuren fällt auf, das der Charakter von Dru dem von Durante recht ähnlich ist – in Bezug auf den lässigen Umgang mit Frauen und die künstlerische Ader. Leider sind auch manche Witze identisch mit denen in Als Durante kam, z.B. die verspätete Angabe der Fahrtrichtung während einer Fahrt.
Nicht uninteressant ist die Figur des Erzählers – er ist mitten drin und doch irgendwie nur halb am Geschehen beteiligt, weil er als Regie-Assistent kaum Entscheidungen treffen darf.
Recht gelungen ist, dass es keine eindeutige Auflösung der unerklärlichen Phänomene und keinen endgültigen Abschluss des Geschehens gibt. Im Hinblick auf die vielen seltsamen Handlungen, die auf Anweisung des „Geistes“ erfolgen – der Kauf teurer Instrumente für sechs Personen, die gar nicht musizieren können, das Herumziehen der drei Hauptfiguren mit dem „Physical Girl“ und dem „Spiritual Girl“ etc. –, ist ein solches offenes Ende überzeugend, im Hinblick auf den die ganze Zeit dominanten Aspekt des angestrebten Filmdrehs ist es entspannend. Inhaltlich jedoch fände ich es besser, wenn die Botschaften von den „Girls“ oder von Dru selbst kämen. Zwar wäre dann die Paranormalität entmystifiziert, aber andererseits auch nicht enttäuschend pseudo-esoterisch, wie ein Geist, der PER TELEFON kommuniziert… Wenn ein Geist, dann doch zumindest im Zusammenhang mit einem passenden „Hokuspokus“, einem Medium oder zumindest dem – vorhandenen! – Zauberstock.
Rezensiert wurde:
De Carlo, Andrea (1991): Yucatan. Übers. Jürgen Bauer. Zürich: Diogenes. [1988] [Originaltitel: Yucatan. Milano: Bompiani, 1986.]
PUKI, Januar 2021
Dieses Buch ist wie eine Reise durch das Europa des 20. Jahrhunderts, erzählt aus der Perspektive einer Frau aus gutem Hause. Im Alter von 18 Jahren „bricht“ sie aus, heiratet früh und setzt ihren Wunsch um, zu studieren, und zwar Medizin, was Anfang des 20. Jahrhunderts alles andere als einfach war. Die Geschichte spielt abwechselnd in England, Frankreich, Italien und der Schweiz, immer überzeugend in die aktuellen politischen Gegebenheiten und gesellschaftlichen Strukturen eingebettet. Nicht einfach zu lesen, aber sehr interessant.
Cuno, Anne (2014): Zaïda. Übers. Erich Liebi. Berlin: Insel. (Original: Zaïda. Orbe: Bernard Capiche, 2007.)
PUKI, Januar 2021
Sprachlich ist das Buch etwas zu prätentiös. Die Dialoge sind den Sprechern oft nicht eindeutig zuzuordnen, manche Passagen sind sogar vollkommen kryptisch – offenbar sollen sie besonders kunstvoll wirken, diese Funktion verfehlen sie jedoch auf den zweiten Blick, weil man als Leser den Eindruck nicht los wird, die Autorin hätte ihr Manuskript nicht mit der nötigen Distanz korrekturgelesen. Interessant ist die Konstellation der Figuren: Eine Ansammlung von Außenseitern, die sich zusammenfinden und eine Ersatzfamilie bilden. Camille, eine essgestörte Malerin, die als Putzfrau arbeitet, Franck, ein junger Koch mit dem Hang zum Derben und Philibert, ein stotternder junger Adeliger, der in einem Postkartenkiosk arbeitet. Eine interessante Geschichte über moderne Zusammenschlüsse entwurzelter junge Menschen im Herzen von Paris. Und: Es wartet ein schönes Happy End.
Gavalda, Anna (2007): Zusammen ist man weniger allein. Übers. Ina Kronenberger. Frankfurt (M): Fischer. (Originaltitel: Ensemble c’est tout. Paris: Le Dilettante, 2004).